100 ljet Gradišće 42. dio
ORF
ORF
„Geschichte im Gespräch“

Von der Neusiedlersee-Brücke bis zum Weinskandal

In der Serie „100 Jahre Burgenland – Geschichte im Gespräch“ behandelt Historiker Michael Schreiber von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft wichtigste Ereignisse der letzten 100 Jahre. Diesmal spannt sich der Bogen von den 1960er bis 80er Jahren. Dabei dreht sich alles um prägende Politikerpersönlichkeiten, Skandale und Katastrophen.

Die Politik unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist dominiert von der ÖVP, wenn man von dem kurzen Zwischenspiel Ludwig Lesers als provisorischer Landeshauptmann des Burgenlandes aus dem Lager der SPÖ absieht. Bei der ersten Landtagswahl nach dem Ende des Krieges geht die ÖVP mit über 51 Prozent als Siegerin aus den Wahlen hervor. In der zweiten Landtagssitzung wird der Großwarasdorfer Lorenz Karall zum Landeshauptmann gewählt, Leser zu dessen Stellvertreter.

In Karalls Ära als Landeshauptmann fällt die gesamte Zeit der sowjetischen Besatzung und damit die Anfangsjahre des Aufschwungs nach dem Krieg. Er bleibt bis 1956 Landeshauptmann, muss sein Amt allerdings politisch und gesundheitlich angeschlagen an Johann Wagner abtreten. Aber noch unter Karall zeigt sich, dass die ÖVP als Partei tendenziell verliert und die SPÖ dazugewinnt. Auf Wagner folgt 1961 noch Josef Lentsch, ebenfalls aus dem Lager der ÖVP.

Sendungshinweis

„Radio Burgenland Extra“, 16.12.2021, 20.04 Uhr

Die Ära Kery

Die Wahlen 1964 bringen den ersten Wahlsieg der SPÖ im Burgenland der Nachkriegszeit. Neuer Landeshauptmann wird Hans Bögl. Er hält sich bis 1966, tritt den Posten des Landeshauptmannes dann an Theodor Kery ab, der in den kommenden zwanzig Jahren Landeshauptmann des Burgenlandes bleiben und zur dominierenden politischen Figur aufsteigen sollte. Unter ihm erreicht die SPÖ im Burgenland 1968 erstmals die absolute Mehrheit. Theodor Kery ist von 1966 bis 1987 als Landeshauptmann im Amt, das ist Rekord im Burgenland. Mit Kery verbindet man in erster Linie ein neues Burgenland-Bild, man ringt also um ein neues Image. Kery steht auch für Investitionen im Bereich der Infrastruktur, des Wohnbaus, der Kultur und des Fremdenverkehrs.

In den 1980er Jahren kommt Kery nicht nur von Seiten anderer Parteien stark unter Druck, sondern er ist auch parteiintern nicht unumstritten. Bei einem Bundesparteitag der SPÖ 1982 stellt ihm der damals noch junge Josef Cap die berühmten drei Fragen: Wie viel er verdiene, ob er tatsächlich billigen Strom beziehe und wie es mit seinem Schieß-Hobby aussehe? Hier bricht also eine Debatte auf. Es führt letztlich dazu, dass Theodor Kery sich sukzessive zurückzieht und 1987 von der politischen Bühne verschwindet.

Historiker Michael Schreiber von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft
ORF
Historiker Michael Schreiber von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft

Eine Brücke über den Neusiedlersee

Bis in die 1980er Jahre hinein sitzt Kery als Landeshauptmann allerdings fest im Sattel. So übersteht er auch ohne Imageschaden das, kurios gescheiterte und unter seiner Regierung vorangetriebene, Projekt der Neusiedlersee-Brücke. Kery und dem damaligen Baulandesrat Helmuth Vogl ist vor allem daran gelegen, das Burgenland Schritt für Schritt zu modernisieren und auch wirtschaftlich und verkehrstechnisch zu erschließen. Aufbauend auf einem ersten Entwurf einer Brücke über den Neusiedlersee aus den 1950er Jahren, die Illmitz mit Mörbisch verbinden sollte, wird 1968 eine Studie fertiggestellt, die auch die Schaffung einer künstlichen Insel in der Mitte des Sees vorsieht. Auch die Möglichkeit, einen Damm quer durch den See zu bauen, steht im Raum. 1971 entschließt sich die Landesregierung allerdings für den Bau einer Brücke. Mit einer Länge von über drei Kilometern sollte es die zweitlängste Brücke Europas werden.

Noch vor der Beschlussfassung formiert sich in der Öffentlichkeit eine Front gegen das Projekt. So entsteht Anfang der 70er Jahre eine Welle an Protesten und Diskussionen, die es in dieser Dimension in Österreich bis dahin noch nicht gegeben hat. Es ist dies die erste Bürgerinitiative im Bereich des Naturschutzes in Österreich. Dem Protest gegen die Brücke schließen sich prominente Persönlichkeiten, wie der Zoologe und Medizin-Nobelpreisträger Konrad Lorenz oder der spätere Direktor des Naturhistorischen Museums in Wien Bernd Lötsch an. 1972 wird aufgrund des anwachsenden Widerstandes vonseiten der Medien, der Wissenschaft und einem breiten Teil der Bevölkerung der Baubeginn vorläufig ausgesetzt und das Projekt schließlich gänzlich verworfen.

Errichtung der Kulturzentren

Als Fred Sinowatz 1971 sein Amt als Landesrat für Kultur niederlegt, um in die Bundespolitik zu wechseln, folgt ihm Gerald Mader nach. Vor seiner Amtszeit schafft er bereits die burgenländischen Volkshochschulen als wichtiges Instrument der Erwachsenenbildung. Bekanntheit erlangt er vor allem als Gründer des Österreichischen Instituts für Friedensforschung und Konfliktlösung, an welche die European Peace University angeschlossen ist, die von 2010 bis 2013 den Status einer österreichischen Privatuniversität hat. In Maders Amtszeit fallen viele Projekte, die im Burgenland kulturelle und bildungspolitische Akzente setzen sollten. So wird 1976 das Kulturzentrum Mattersburg eröffnet. Nur wenige Tage nach dem Kulturzentrum in Mattersburg wird die Cselley Mühle in Oslip vom damaligen Unterrichtsminister Fred Sinowatz mit den Worten „ich weiß nicht, was ich eröffne, aber ich eröffne es“ ins Leben gerufen.

Cselley Mühle in Oslip: Fred Sinowatz
ORF

Hier hat sich ein Kunstzentrum im Nordburgenland gebildet, das mit dem Popfestival ein erstes großes, mehrtägiges Musikfestival mit mehreren tausend Besuchern organisiert. Im Südburgenland folgt 1980 das Jugendhaus Oberwart nach, aus dem 1989 das OHO werden und das zur Heimatstätte vieler zeitgenössischer Theaterproduktionen werden sollte. Nicht nur zu einem wichtigen Kulturzentrum des mittleren Burgenlandes, sondern auch der Burgenlandkroaten, entwickelt sich die 1982 eröffnete KUGA in Großwarasdorf.

KUGA u Velikom Borištofu
ORF
KUGA in Großwarasdorf

Der Weinskandal

Mitte der 1980er Jahre ist Österreich Dauergast internationaler Berichterstattung: und zar mit dem Weinskandal, in den das Burgenland 1985 zentral eingebunden. Schon vor dem Auffliegen des Skandals besteht der Verdacht, dass einige Winzer ihre Weine mit Diethylenglykol versehen hätten, der mit Wasser gemischt als Frostschutzmittel verwendet wird. Dadurch können massenhaft erzeugte Weine, die qualitativ nicht allzu hochwertig waren, gesüßt und in ihrem Geschmack verstärkt und somit illegal veredelt werden. Die Ermittlungen beginnen, nachdem ein Labor in Wien im Dezember 1984 einen entsprechenden Hinweis bekommen hat und ein Winzer, obwohl er nur einen kleinen Traktor besitzt, große Mengen Frostschutzmittel steuerlich absetzen will und damit den Verdacht der Behörden auf sich zieht.

100 ljet Gradišće 42. dio
ORF

Im April 1985 wird den ersten Betrieben in Apetlon und Podersdorf Betrug nachgewiesen. Insgesamt gibt es über 300 Anzeigen und 21 Anklagen. Bald befinden sich 20 Personen in Haft. Der Skandal weitet sich im Laufe des Jahres immer weiter aus und beschränkt sich bald nicht mehr nur aufs Burgenland, sondern weitet sich auf Niederösterreich und Deutschland aus. Österreichische und deutsche Weine werden bald weltweit aus dem Verkehr gezogen, was einen enormen Imageschaden für die heimischen Winzer zur Folge hat. Der Export österreichischer Weine fällt auf ein Zehntel zurück. Als Reaktion darauf, erlässt die Bundesregierung unter Fred Sinowatz eines der strengsten Weingesetze der Welt. Erst etwa 20 Jahre später erreicht die heimische Weinwirtschaft wieder die Exportwerte der 1980er Jahre.

Reaktorunfall in Tschernobly

Am 25. April 1986 wird im Atomkraftwerk Tschernobyl ein Reaktor heruntergefahren, denn man will überprüfen, wie bei einem Stromausfall die Versorgung des Kraftwerks bis zum Anspringen der Notstromaggregate überbrückt werden kann. Dieser Versuch gerät jedoch außer Kontrolle, sodass in der Nacht vom 25. auf den 26. April Reaktor 4 in die Luft fliegt und dabei radioaktives Material in die Atmosphäre gelangt. Zwei Tage später wird in Stockholm erhöhte Strahlung gemessen und errechnet, dass diese aus der Sowjetunion kommen muss. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits mit Eindämmungsmaßnahmen begonnen wird, dementieren die Sowjets zu diesem Zeitpunkt noch, dass es einen Vorfall gegeben hat. Erst am Abend spricht die Sowjetführung von einem „Unfall“ im AKW Tschernobyl und in den Folgetagen wird zunehmend das Ausmaß der Reaktorkatastrophe sichtbar.

100 ljet Gradišće 43. dio, Černobil
ORF

Zehn Tage lang wird radioaktives Material in die Atmosphäre abgegeben. Österreich erreicht die ersten radioaktiven Stoffe, vor allem das langlebige Cäsium, drei Tage nach der Explosion. Zunächst ist die radioaktive Belastung in der Luft im Osten Österreichs am höchsten. Die radioaktiven Elemente werden in erster Linie mit Niederschlägen aus der Luft ausgewaschen, dadurch aber im Boden gespeichert. Auch heute noch sind radioaktive Ablagerungen in Österreich feststellbar, in Oberösterreich und Salzburg aufgrund unterschiedlicher Niederschlagsintensität und -dauer weit stärker als im Burgenland.

„100 Jahre Burgenland“ im ORF Burgenland

Die Gesprächsreihe „100 Jahre Burgenland – Geschichte im Gespräch“ wird jeden letzten Donnerstag im Monat um 20:04 Uhr in Radio Burgenland Extra ausgestrahlt und gibt es als Podcast zum Nachhören: „Radio Burgenland Extra“ als Podcast.