Striljanje u Šundrof kod krčme Čarman
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„Geschichte im Gespräch“

Von der „Piringsdorfer Lynchaffäre“ bis zum Justizpalastbrand

Die „Piringsdorfer Lynchaffäre“ brachte 1923 einen Landeshauptmann zu Fall. Der Historiker Michael Schreiber erzählt in der Serie „100 Jahre Burgenland – Geschichte im Gespräch“ von diesem Vorfall. Er spricht auch über die Politik in der Zwischenkriegszeit und wie sich 1927 die Schüsse von Schattendorf und der Brand des Wiener Justizpalastes zugetragen haben.

Bis zur Bestellung einer Landesregierung und der Besetzung des Landtags wurde das Burgenland durch einen Landesverwalter und der ihm unterstellten „Verwaltungsstelle für das Burgenland“ regiert. Bis zur ersten burgenländischen Landtagswahl mussten sich die wahlwerbenden Parteien allerdings erst konstituieren. Die erste Partei, die im neuen Burgenland entstanden war, war die Sozialdemokratische Arbeiterpartei für das Burgenland. Sie gründete sich am 9. Jänner 1921. Im April folgte dann die Burgenländische Christlichsoziale Partei. Später gründete auch die Großdeutsche Volkspartei einen burgenländischen Ableger und zuletzt kam im Dezember 1921 noch der Burgenländische Bauernbund hinzu, der vor allem im Südburgenland Zuspruch fand.

Erste Landtagswahl

Die erste burgenländische Landtagswahl ging mit über 38 Prozent an die Sozialdemokraten, gefolgt von den Christlichsozialen mit über 31 Prozent. Dem Bauernbund war es der vielen Stimmen aus dem Südburgenland wegen gelungen, die Großdeutschen zu überholen und auf dem dritten Platz zu landen. Als erster Landeshauptmann wurde der parteilose Alfred Rausnitz angelobt, wobei dieser sich in einigen Fragen äußerst ungeschickt anstellte und schon 1923 von seinem Amt zurücktrat.

Die Frage der Schulpolitik

Eine der Fragen über die Rausnitz gestolpert war, sollte vor allem für die Burgenlandkroaten auch in den folgenden Jahren von zentraler Bedeutung sein – es war jene nach den konfessionellen Schulen. In der Zeit der Habsburger Monarchie war die Schulpolitik in der ungarischen Reichshälfte eng an die Kirche, vor allem an die katholische, gebunden, während sie im österreichischen Teil der Monarchie im Verantwortungsbereich des Staates lag. Der Kroatischunterricht wurde vom Wiener Hof aus gefördert, um die bäuerlichen Kroaten von den deutschen und ungarischen liberalen Bewegungen sprachlich zu isolieren. Für die Kroaten wiederum war dies ein Vehikel zur Weitergabe ihrer sprachlichen Identität.

Ein altes Klassenfoto aus Wulkaprodersdorf aus dem Jahr 1920
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Schulklassen aus Wulkaprodersdorf

Den Kroaten war es nach dem Zerfall der Monarchie wichtig den Status quo im Schulbereich zu erhalten, da sie einerseits traditionell sehr eng mit der katholischen Kirche verknüpft waren und dies andererseits ein Garant für den Unterricht in kroatischer Sprache war. Für die Kroaten war dies auch eine parteipolitisch stark geladene Frage: Anhänger der Sozialdemokratie, die vor allem unter den Kroaten im Norden des Landes stark vertreten waren, sahen im kroatischsprachigen Unterricht ein Hindernis in der sozialen Mobilität und eine Hintertür zur Stärkung konservativer Politik und der katholischen Kirche, da die Schulen der direkten Aufsicht der Kirche unterstanden. Dies führte dazu, dass Sozialdemokraten tendenziell den Kroatischunterricht ablehnten und ihre Kinder zunehmend in deutschsprachige Schulen zu schicken begannen, während Konservative und die katholische Kirche den Kroatischunterricht förderten.

Der Gebrauch des Kroatischen und das Beharren auf seiner Verwendung als Unterrichtssprache verschmolz also in der Wahrnehmung der Bevölkerung mit einer eindeutig konservativen, katholischen Haltung, wobei diese Wahrnehmung erst in den 1980er Jahren zu verschwinden begann und heute praktisch nicht mehr existiert.

Die „Piringsdorfer Lynchaffäre“

Ein Kuriosum mittelburgenländischer Regionalgeschichte ist die „Piringsdorfer Lynchaffäre“. Der Fall hat sich so zugetragen, dass der damalige Förster der Esterhazy Gutsverwaltung Josef Györke den Kleinbauern Anton Schlögl erschossen hatte. Daraufhin wurde Györke von der Piringsdorfer Bevölkerung gelyncht. Es stand nämlich Wort gegen Wort: Die Gutsverwaltung meinte, Schlögl wäre ein Wilderer gewesen und die Dorfbevölkerung meinte, er hätte sich schützend vor Beeren sammelnde Kinder gestellt, die mit dem Förster – der als äußerst wilde Erscheinung beschrieben wurde und bewaffnet war – einen Konflikt gehabt hätten. Mit dem Vorwurf der Mitschuld am Vorfall in Piringsdorf wurde der Oberpullendorfer Bezirkshauptmann Simon Hagenauer seitens der Sozialdemokraten konfrontiert, weil Hagenauer nicht konsequent bei der Entwaffnung des Försters Györke durchgegriffen hätte. Landeshauptmann Alfred Rausnitz aber stellte sich vehement hinter den Bezirkshauptmann – ein weiterer Stolperstein, der Rausnitz schließlich das Amt kostete. Er trat 1923 zurück.

Sendungshinweis

„Radio Burgenland Extra“, 3.6. 2021, 20.04 Uhr

Paramilitärische Wehrverbände

In der Landtagssitzung vom 14. Juli 1923 trat der erste Landeshauptmann des Burgenlandes Alfred Rausnitz zurück und wurde durch Alfred Walheim in dieser Position ersetzt. Während dieser Sitzung einigten sich die Parteien auch darauf, im Burgenland keine privaten Wehrformationen zu unterhalten oder zu unterstützen. Diese paramilitärischen Einheiten waren in Österreich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entstanden, als ehemalige Soldaten Volksmilizen oder Heimatwehren bildeten, um die Landbevölkerung beispielsweise vor Plünderungen zu schützen. In den Reihen der Christlichsozialen waren dies der Heimatschutzverband Burgenland (Heimwehr), für die Sozialdemokratie der Republikanische Schutzbund und als dritte und kleinste Gruppe kam noch die Frontkämpfervereinigung Deutschösterreichs hinzu. Innerhalb dieser Verbände gab es allerdings auch verschiedene ideologische Ausrichtungen und Strömungen. Daneben gab es noch einige kleinere Verbände, wie jene der SS und der SA für die Nationalsozialisten.

Militarisierung der Bevölkerung

Das Abkommen zwischen den Parteien, keine Wehrverbände aufzubauen und zu unterhalten, hielt bis 1925. Die Frontkämpfervereinigung begann von da an, erneut Ortsgruppen unter anderem in Nikitsch und Oslip, aufzubauen, worauf die Sozialdemokraten mit der Gründung der Ortsgruppen in Neufeld und Steinbrunn reagierten. Zunächst waren diese paramilitärischen Aktivitäten ein Phänomen, das sich hauptsächlich aufs Nord- und Mittelburgenland beschränkte. Nach den Ereignissen von Schattendorf 1927 sah sich auch die Heimwehrbewegung gezwungen, im Burgenland Strukturen aufzubauen. Zulauf bekam die Heimwehr, die im Burgenland Heimatschutzverband Burgenland hieß, vor allem aus dem christlichsozialen Lager wie aus dem Landbund und erfasste auch das Südburgenland.

Puška ka je smrtno ranila ljude u Šundrofu
HGM / Vojno povijesni muzej
Mit dieser Waffe wurde in Schattendorf geschossen

Die Schüsse von Schattendorf

Diese zunehmende Militarisierung der Bevölkerung führte am Sonntag, dem 30. Jänner 1927 in Schattendorf zu einem tödlichen Konflikt zwischen Verbänden des Schutzbundes und der Frontkämpfer. Die Auseinandersetzung entzündete sich an einer geplanten Veranstaltung der Frontkämpfer, zu der Verbände aus der Umgebung und aus Wien kommen sollten. Die Sozialdemokraten reagierten auf diese mit einer zeitgleich angesetzten Gegenveranstaltung. Unter Einbeziehung des Schutzbundes, auch aus den Nachbargemeinden, wollte man die Wiener Frontkämpfer am Einmarsch im Ort hindern.

Šundrof krčma Čarman
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Gasthaus Tscharmann

Am frühen Nachmittag kam es im Gasthaus Tscharmann, dem Vereinslokal der Frontkämpfer, zur ersten Auseinandersetzung, da Schutzbündler in das Lokal eindrangen. Zu einem zweiten Zusammenstoß kam es am Bahnhof, worauf die Frontkämpfer ihre geplante Veranstaltung absagen mussten. Zu einem dritten Zusammenstoß kam es gegen 16.00 Uhr, als Schutzbündler erneut in das Gasthaus Tscharmann eindrangen. Nun wurden aus den Fenstern des Gasthauses Schüsse abgegeben. Dabei wurden mehrere Personen verletzt und zwei Menschen getötet: der Bub Josef Grössing und der Kriegsinvalide Matthias Csmarits.

Mate Čmarić, slika na njegovom grobu u Klimpuhu
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Matthias Csmarits

Urteil führt zu Justizpalastbrand

Bei dem folgenden Prozess, der vom 5. bis zum 14. Juli 1927 im Wiener Landesgericht für Strafsachen abgehalten wurde, wurden die Beschuldigten Josef Tscharmann, Hieronymus Tscharmann und Johann Pinter freigesprochen. Diese Freisprüche führten zu großen Protesten und Demonstrationen in Wien, wobei der Wiener Justizpalast in Brand gesteckt wurde. Der 15. Juli 1927 kostete 89 Menschenleben und über 600 Personen wurden verletzt.

Palača pravosudja //Justizpalast// u Beču
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Justizpalast

„100 Jahre Burgenland“ im ORF Burgenland

Auch die Volksgruppenredaktion des ORF Burgenland widmet sich ein Jahr lang dem Jubiläum „100 Jahre Burgenland“. In 50 Hörfunk-Beiträgen, die jeden Montag um 18.15 Uhr in kroatischer Sprache auf Radio Burgenland zu hören sein werden, erzählt Schreiber die Geschichte des Burgenlandes beginnend mit den ersten Eingliederungsideen und dem Nikitscher Aufstand bis hin zur Rolle der Esterhazys – mehr dazu in Povijest Gradišća od samih početkov.

In Anlehnung an die wöchentliche Serie in der Volksgruppen-Kultursendung ist in „Radio Burgenland Extra“ die 13-teilige Gesprächsreihe mit Historiker Michael Schreiber in deutscher Sprache zu hören. Unter dem Titel „100 Jahre Burgenland – Geschichte im Gespräch“ führt Kulturredakteurin Bettina Treiber Interviews mit dem 32-jährigen Historiker aus Nikitsch zur Geschichte des Burgenlandes. Die Gesprächsreihe wird jeden letzten Donnerstag im Monat um 20.04 Uhr in „Radio Burgenland Extra“ ausgestrahlt.