Venecijanski protokol po talijansku i nimšku
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Geschichte im Gespräch

1921 bis 1923: Eine Frage der Grenzziehung

Im Zuge des 100. Geburtstages des Burgenlandes spricht der Nikitscher Historiker Michael Schreiber mit Redakteurin Bettina Treiber über markante Ereignisse. In der dritten Folge geht es um die Jahre 1921 bis 1923: die Verhandlungen beim Venediger Protokoll, die Abstimmung über Sopron und den Tauschhandel beim Grenzverlauf.

Das Gebaren Ungarns seit der Unterzeichnung der Friedensverträge von St. Germain und Trianon und der am Widerstand der Freischärler gescheiterte erste Versuch der Landnahme hatten gezeigt, dass allen vertraglichen Verpflichtungen, die Ungarn eingegangen war, zum Trotz, die Angliederung des Burgenlandes nicht einfach vollzogen werden konnte. Im September 1921 sahen aber Ungarn und Österreich die Situation als so schwierig an, dass sich beide Seiten an Italien wandten, das seine Vermittlung in dieser Frage schon zuvor angeboten hatte. Nachdem sich beide Seiten über diplomatische Kanäle verhandlungsbereit zeigten, traf sich der italienische Außenminister Pietro Tomasi de la Torretta mit dem österreichischen Bundeskanzler und Außenminister Johannes Schober in Wien. Dabei wurde auch der ungarische Vorschlag besprochen, dass die Ungarn das Burgenland räumen würden, wenn Sopron bei Ungarn bleibt. Schober gab für dieses Ansinnen, wenn auch nicht bedingungslos, grünes Licht.

Savezni kancelar Schober
Sherrill, Charles Hitchcock, Public domain, via Wikimedia Commons
Johannes Schober

Venediger Protokoll

Am 11. Oktober lud der italienische Außenminister Tomasi de la Torretta Vertreter Österreichs und Ungarns in den Palazzo Corner von Venedig. Die Verhandlungen für Österreich leitete Johannes Schober in Begleitung dreier Diplomaten und für Ungarn Ministerpräsident István Bethlen und Außenminister Graf Miklos Banffy, ihrerseits von zwei Diplomaten begleitet. Die Gespräche sollten streng vertraulich geführt werden, weshalb der Verhandlerkreis klein blieb.

Noch am ersten Tag der Verhandlungen zeigte sich, dass der Zankapfel Sopron (Ödenburg) sein würde. In den Verhandlungen bestand Schober – entgegen der vorab getroffenen Abmachung – auf einen Volksentscheid erst nach der Angliederung des Burgenlandes an Österreich. Ungarn wiederum wollte die Stadt ohne Volksabstimmung behalten.

Grof István Bethlen
Bundesarchiv
István Bethlen

Auf beiden Seiten herrschte in dieser Hinsicht innenpolitisch großer Druck. Man einigte sich schließlich am 13. Oktober 1921 auf einen – für beide Seiten gesichtswahrenden – Kompromiss: Das Burgenland wurde an Österreich angegliedert, Sopron verblieb bei Ungarn, aber es sollte dann zu einer Volksabstimmung kommen – und das kam einen Verzicht Österreichs auf Ödenburg gleich.

Propaganda vor Volksabstimmungen

Mit der Unterzeichnung des Venediger Protokolls hatte Österreich de facto auf Sopron verzichtet, um eine konfliktfreie Übergabe des restlichen Burgenlandes nicht zu gefährden. Dennoch einigte man sich mit Ungarn aus innenpolitischen Gründen und im Sinne eines gesichtswahrenden Kompromisses darauf, dass Sopron durch eine Volksabstimmung bei Ungarn verbleiben sollten.

Dodatak u Venecijanskom protokolu
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Eigentlich waren es zwei Abstimmungen, da an zwei Terminen gewählt wurde: am 14. Dezember 1921 in Sopron und zwei Tage später in den umliegenden Ortschaften. Da die Gespräche in Venedig vertraulich geführt worden waren, wusste die Öffentlichkeit über die Umstände, unter denen der Plebiszit stattfinden sollte, kaum Bescheid. So gründete sich am 20. Oktober in Wien der „Ödenburger Heimatdienst“, der in Sopron ein pro-österreichisches Wahlergebnis zu erringen versuchte. Er schmuggelte Plakate und Flugzettel in die Stadt und in die umliegenden Dörfer. Auch hier zeigt sich, warum die Zustimmung zur Volksabstimmung für Österreich einem Verzicht gleichkam: Während das fragliche Gebiet ohne Einschränkungen und über einen langen Zeitraum der ungarischen Propaganda ausgesetzt war, konnte die österreichische Propaganda nur unter großem Risiko über die Grenze geschmuggelt und verbreitet werden. Erst nachdem der Rest des Burgenlandes am 3. Dezember an Österreich angeschlossen war, durfte Österreich in gleichem Maße Wahlwerbung betreiben wie Ungarn.

Damit sich eine verlässliche Mehrheit für Ungarn aussprach, lief nicht nur die ungarische Propagandamaschinerie auf Hochtouren. Auch die Abstimmungslisten, Wahlausweise und die Wahllisten wurden in diese Richtung manipuliert. So wurde auch im Namen bereits verstorbener Menschen pro-ungarisch gewählt. Auch wurden pro-österreichische Wähler von der Abstimmung ferngehalten.

Abstimmungsergebnisse in Sopron und Umgebung

Entsprechend eindeutig fiel auch das Resultat der Volksabstimmung in Sopron aus. Von den knapp mehr als 17.000 abgegeben Stimmen entfielen fast 73 Prozent auf einen Verbleib bei Ungarn. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Ergebnis auch ohne die massive Manipulation Ungarns gegen die Angliederung an Österreich ausgefallen wäre, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Im Soproner Umland, das man einerseits aufgrund der Wasserversorgung für Ungarn beansprucht hatte und anderseits aufgrund des wirtschaftlich nicht unbedeutenden Kohleabbaus in Brennberg, fielen die Ergebnisse zwar von Ort zu Ort sehr unterschiedlich und zusammengenommen mit 54,5 Prozent sogar pro-österreichisch aus – von den acht Ortschaften wählten nur drei pro-ungarisch, Harkau wählte sogar mit 90 Prozent für Österreich – aber zusammen mit dem Ergebnis der Stadt sprachen sich letztlich doch fast zwei Drittel der Wahlberechtigten für Ungarn aus.

Rezultat glasovanje u Šopronu
Iz knjige Gerald Schlag: Aus Trümmern geboren… / Šopronski županijski arhiv

Obwohl Österreich, unterstützt durch die Tschechoslowakei offiziell auf die massive Manipulation hinwies und gegen die Wahl protestierte, sich gar für eine Wiederholung einsetzte, bestätigte die Botschafterkonferenz in Paris das Ergebnis, da auch eine Wiederholung der Wahl wahrscheinlich keine Änderung gebracht hatte und man es auch leid war, sich mit diesem Thema weiter zu beschäftigen. Dies, und die Ratifikation des Venediger Protokolls durch den österreichischen Nationalrat führte dazu, dass die Interalliierte Generalskommission die Stadt am 1. Jänner 1922 offiziell an Ungarn übergab.

Grenzziehung: Halbturn bei Ungarn?

Die Festlegung des endgültigen Grenzverlaufs des Burgenlandes oblag der interalliierten Grenzbestimmungskommission, die sich am 27. Juli 1921 aus Vertreten verschiedener Nationen konstituiert hatte. Die Vorstellungen Österreichs und Ungarns, wie die Grenze letztlich verlaufen sollte, waren höchst unterschiedlich. Der österreichische Vorschlag des Grenzverlaufs orientierte sich größtenteils an jener Linie, die in Paris bei den Friedensverhandlungen grob festgelegt worden war. Ungarn hingegen versuchte den Grenzverlauf tief in den Westen des heutigen Burgenlandes verlegen – die Grenzlinien im Nordburgenland wären so verlaufen, dass die Orte Halbturn und Wallern ungarisch geblieben wären. Im mittleren Burgenland wäre die Grenze überhaupt westlich der Orte Deutschkreutz, Oberpullendorf und Lockenhaus verlaufen. Die deutlichste Abweichung gab es im Südburgenland, wo sogar Oberwart bei Ungarn hätte bleiben sollen. Gemäß diesem Plan wäre das Burgenland schätzungsweise um ein Drittel schmaler ausgefallen, als es heute ist. Letztlich konnte Ungarn diese Forderungen nicht durchsetzen und man orientierte sich im Wesentlichen an den Grenzen der Friedensverträge von Paris. Als dies geklärt war, konnte sich die Kommission mit Detailfragen der Grenzziehung in den einzelnen Orten beschäftigen.

Sendungshinweis

„Radio Burgenland Extra“, 25.2.2021, 20.04 Uhr

Kommission befragt Bevölkerung

Für Detailfragen reiste die Grenzbestimmungskommission durch die Ortschaften, befragte die Bevölkerung und versuchte sich so ein objektives Bild von der allgemeinen Stimmung im Ort zu machen. Im Nord- und Mittelburgenland waren die Ortsbewohner meist für die Angliederung an Österreich, etwas schwieriger gestaltete sich die Arbeit für die Kommission im südlichen Pinkatal, da hier keine eindeutige Präferenz erkennbar war.

Nachdem die Grenzen Ende 1922 weitestgehend gezogen worden waren, gab es vereinzelt immer noch Proteste, sodass Orte getauscht wurden. So kamen die Ortschaften Rattersdorf und Liebing, die eigentlich aufgrund des dort befindlichen Esterhazy‘schen Grundbesitzes Ungarn zugesprochen wurden, noch zu Österreich im Tausch für die Orte Prostrum und Bleigraben. Am 10. Jänner 1923 wurde schließlich mit Luising im Südburgenland der letzte Ort Österreich zugesprochen und damit die Grenzziehung offiziell abgeschlossen. Nun war das Burgenland in seinen festen Grenzen Teil Österreichs geworden.

„100 Jahre Burgenland“ im ORF Burgenland

Auch die Volksgruppenredaktion des ORF Burgenland widmet sich ein Jahr lang dem Jubiläum „100 Jahre Burgenland“. In 50 Hörfunk-Beiträgen, die jeden Montag um 18.15 Uhr in kroatischer Sprache auf Radio Burgenland zu hören sein werden, erzählt Schreiber die Geschichte des Burgenlandes beginnend mit den ersten Eingliederungsideen und dem Nikitscher Aufstand bis hin zur Rolle der Esterhazys – mehr dazu in Ideja priključenja i Fileška buna.

In Anlehnung an die wöchentliche Serie in der Volksgruppen-Kultursendung, startet am Donnerstag in „Radio Burgenland Extra“ eine 13-teilige Radio-Gesprächsreihe mit Historiker Michael Schreiber in deutscher Sprache. Unter dem Titel „100 Jahre Burgenland – Geschichte im Gespräch“ führt Kulturredakteurin Bettina Treiber Interviews mit dem 32-jährigen Historiker aus Nikitsch zur Geschichte des Burgenlandes. Die 13-teilige Gesprächsreihe wird jeden letzten Donnerstag im Monat um 20:04 Uhr in Radio Burgenland Extra ausgestrahlt. Mehr dazu in „100 Jahre Burgenland“ im ORF Burgenland.