100 Jahre Burgenland
Filmarchiv Austria
Filmarchiv Austria
100 Jahre Burgenland – Geschichte im Gespräch

Der Nikitscher Aufstand und der Name „Burgenland“

Im Zuge des 100. Geburtstages des Burgenlandes hat der Historiker Michael Schreiber von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft (BFG) für den ORF Burgenland eine Serie zusammengestellt, die den Weg des Burgenlandes von Anfang an beschreibt. Im ersten Teil geht es um den Nikitscher Aufstand und den Namen Burgenland.

Am 25. Jänner 1921 wurde jenes Gesetz verabschiedet, dass das Gebiet zu einem österreichischen Bundesland machte. Tendenzen, dass das ehemalige Deutschwestungarn zu Österreich kommen solle, gab es schon davor, so Schreiber, der selbst aus Nikitsch kommt.

europski dan židovske kulture Gradišće Michael Schreiber
ORF
Historiker Michael Schreiber von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft (BFG)

Erste Idee schon Mitte des 19. Jahrhunderts

Die Idee, das heutige Burgenland an Österreich anzugliedern, ist nicht erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entstanden. Tatsächlich kam diese Idee schon Mitte des 19. Jahrhunderts auf und wurde gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wieder heftiger diskutiert. Nachdem dies auch in diversen Artikeln publik gemacht wurde, erreichte die Frage nach Deutschwestungarn schließlich sogar den Niederösterreichischen Landtag und den Ungarischen Reichsrat.

Druck der von Ungarn ausgehenden Magyarisierungspolitik

War die Frage 1848 noch hauptsächlich aus der Überlegung heraus entstanden, das revoltierende Ungarn zu schwächen, fanden die Diskussionen Anfang des 20. Jahrhunderts schon im Geiste einer Trennung Ungarns aus der Realunion einerseits und andererseits unter dem zunehmenden Druck der von Ungarn ausgehenden Magyarisierungspolitik, die auch den Deutschwestungarischen Raum, also das spätere Burgenland, betreffen sollte, statt.

Sendungshinweis

Radio Burgenland Extra, 14.1.2021, 20.04 Uhr

Diskussionen keine Breitenwirkung

Ziel dieser Magyarisierungspolitik war die ehestmögliche Assimilation aller Nichtungarn, die unter der ungarischen Krone lebten, vor dem Hintergrund eines zunehmenden Nationalismus. Die Diskussionen, die beispielsweise im „Verein für die Erhaltung des Deutschtums in Ungarn“ geführt wurden, blieben allerdings auf einen winzigen, zumeist deutschnationalen Kreis beschränkt und konnten im heutigen Burgenland keine Breitenwirkung erzielen. Führende Figuren in dieser Frage waren unter anderem der Wiener Volksschullehrer Josef Patry und der aus Frauenkirchen stammende Gregor Meidlinger.

Spomentable u Beču i Svetici za jezerom
Gedenktafeln für Josef Patry in Wien und Gregor Meidlinger in Frauenkirchen

21. März 1919: Räterepublik unter Kun und Garbai

Obwohl nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die Idee wieder in den Vordergrund rückte, war das heutige Burgenland politisch mit anderen Themen beschäftigt. In der nun zerfallenden Habsburgermonarchie blieb es zunächst noch ein Teil Ungarns, und als solcher war es auch von den Vorgängen in Budapest betroffen. Hier hatte sich Ungarn am 31. Oktober 1918 endgültig aus der Realunion mit Österreich verabschiedet. Eine sozialistisch-bürgerliche Regierung unter Mihály Károlyi scheiterte allerdings, da sie einerseits von den Sozialisten, die mit den Kommunisten paktierten, unterlaufen wurde und anderseits die großen Gebietsverluste nicht überstand. So wurde sie am 21. März 1919 durch die Ungarische Räterepublik unter Federführung von Béla Kun und dem Ministerpräsident Sándor Garbai abgelöst.

Flucht über die Grenze

Die immer schlechteren wirtschaftlichen Verhältnisse und der Umstand, dass immer mehr junge Männer zum Militärdienst berufen wurden, führte dazu, dass viele über die Grenze nach Österreich flohen. Nachdem die kommunistische Regierung die politischen Geschäfte im Land übernommen hatte, begann sie obendrein damit große Betriebe zu verstaatlichen, Land zu enteignen und zu requirieren. Dies stieß in vielen Orten auf wenig Gegenliebe.

Nikitsch: Offener Aufstand gegen die Requirierungen

Besonders den Nikitschern missfielen die Aktionen der Kommunisten und so kam es in Nikitsch zum offenen Aufstand gegen die Requirierungen und gegen geplante Eingriffe ins Schulwesen. Am 6. April trat der Bezirkskommissar Varadi, begleitet von zwei Gendarmen, vor der Kirche auf, wurde allerdings verprügelt und die Gendarmen entwaffnet. Hierauf schaukelte sich der Konflikt zunehmend hoch und mündete in der Festnahme einiger Nikitscher und schließlich im Tod zweier Kinder und einer Frau. Der Pfarrer des Ortes, Anton Semeliker aus Wulkaprodersdorf, wurde daraufhin verhaftet, als vermeintlicher Drahtzieher des Aufstandes verurteilt und am 10. April 1919 in Sopron standesrechtlich erschossen. Die Regierung hielt sich noch bis zum 1. August und endete damit nach 133 Tagen. Der „rote Terror“ unter Béla Kun wurde schließlich vom „weißen Terror“ des Miklós Horthy abgelöst, welcher sich bis 1944 als ungarisches Staatsoberhaupt behaupten konnte.

Bela Kun Antun Semeliker Miklos Horthy
wikimedia commons / privat / wikimedia commons
Béla Kun, Anton Semeliker und Miklós Horthy

Friedensverhandlungen in Paris und Name „Burgenland“

Zu den Verhandlungen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, die am 18. Januar 1919 in Paris begannen, reiste die österreichische Delegation am 14. Mai, angeführt vom damaligen Staatskanzler Karl Renner, mit großen Erwartungen im Gepäck. Man hatte zunächst noch große Hoffnungen in das vom US-Präsidenten Woodrow Wilson proklamierte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ gesetzt um den Großteil der deutschsprachigen Gebiete der ehemaligen Monarchie im neuen „Deutsch-Österreich“ vereinen zu können bzw. sich der Deutschen Republik angliedern zu dürfen. Dem Großteil dieser Forderungen wurde allerdings nicht entsprochen, wobei die Angliederung Südtirols an Italien von der Öffentlichkeit am schmerzhaftesten empfunden wurde.

„Slawischer Korridor“ bis zum SHS-Königreich

Rund um die Frage des heutigen Burgenlandes entwickelte sich bald nach Beginn der Verhandlungen ein zähes Ringen rund um einen Plan, den der tschechoslowakische Außenminister Eduard Beneš einbrachte. Er schlug vor, dass man auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes, basierend auf den kroatischen Sprachinseln und einer aus dem 19. Jahrhundert stammenden Idee (dem Panslawismus), einen „slawischen Korridor“ bis zum SHS-Königreich errichten und an die Slowakei angliedern solle. Dieser Vorschlag stieß auf heftigen Widerstand Italiens. Auch wenn Frankreich die Tschechoslowakei in dieser Frage unterstützte, scheiterte der Vorschlag am 8. März 1919 endgültig, da sich die USA und Großbritannien Italiens Argumentation anschlossen.

Plan koridora
Glasilo

Deutschwestungarn zu Österreich

Neue Bewegung in die Verhandlungen brachte auch die Errichtung der Ungarischen Räterepublik, da man den Vormarsch des Kommunismus in den Westen Europas befürchtete. Darüber hinaus wurde zunehmend über die Situation in Wien diskutiert, wo die Heiz- und Lebensmittelversorgung nicht funktionierte und die Menschen hungerten und froren. Zunehmend war man auch zu der Auffassung gelangt, dass die Agrargebiete des ungarischen Westens essentiell für die Existenz Österreichs waren. Letztlich wurde entschieden, dass Deutschwestungarn an Österreich anzugliedern sei.

Am 10. September 1919 unterschrieb Karl Renner den Friedensvertrag von St. Germain. Dies stieß natürlich auf Seiten Ungarns auf Widerstand, die die Abtretung des Burgenlandes nicht hinnehmen wollten. Letztendlich musste aber auch Ungarn am 4. Juni 1920 im Vertrag von Trianon die Abtretung – damals noch inklusive Sopron – hinnehmen.

Karl Renner (2. s liva) pri pregovori u Parizu
wikipedia
Friedensvertrag von St. Germain 1919

Auf der Suche nach einem Namen

Parallel dazu musste auch ein Name für dieses neue Gebiet gefunden werden. Der bis dahin gebräuchliche Name „Deutschwestungarn“ schien aufgrund seiner namentlichen Verbindung zu Ungarn unpassend. Zunächst tauchte der Name „Heinzenland“ auf, der sich aber aus verschiedenen Gründen nicht durchsetzen konnte. Der aus Neusiedl stammende Apotheker Adalbert Wolf schlug schließlich als Analogie zu „Siebenbürgen“ zunächst „Vierbürgen“ vor. Dieser Vorschlag bezog sich auf die Endungen der vier Komitate, auf deren Gebiet das geplante Bundesland entstehen sollte: Pressburg (Bratislava), Wieselburg (Moson), Ödenburg (Sopron) und Eisenburg (Vas). Aus dem „Vierbürgenland“ wurde das „Vierburgenland“, wenig später dann das „Dreiburgenland“ und schließlich „Burgenland“, wobei den Vorschlag den schlichten Namen „Burgenland“ zu verwenden, der Frauenkirchener Gregor Meidlinger für sich in Anspruch nahm. Der burgenlandkroatische Name „Gradišće“ wiederum geht auf den wichtigsten Dichter der Burgenlandkroaten zurück: den aus Frankenau stammenden Mate Meršić Miloradić. 

Mate Meršić Miloradić – spomenik u Frakanavi
ORF
Der Wichtigste Dichter der Burgenlandkroaten: der aus Frankenau stammenden Mate Meršić Miloradić

„100 Jahre Burgenland“ im ORF Burgenland

Die Volksgruppenredaktion des ORF Burgenland widmet sich ein Jahr lang dem Jubiläum „100 Jahre Burgenland“. In 50 Hörfunk-Beiträgen, die jeden Montag um 18.15 Uhr in kroatischer Sprache auf Radio Burgenland zu hören sein werden, erzählt Schreiber die Geschichte des Burgenlandes beginnend mit den ersten Eingliederungsideen und dem Nikitscher Aufstand bis hin zur Rolle der Esterházys – mehr dazu in Ideja priključenja i Fileška buna.

In Anlehnung an die wöchentliche Serie in der Volksgruppen-Kultursendung, startet am Donnerstag in „Radio Burgenland Extra“ eine 13-teilige Radio-Gesprächsreihe mit Historiker Michael Schreiber in deutscher Sprache. Unter dem Titel „100 Jahre Burgenland – Geschichte im Gespräch“ führt Kulturredakteurin Bettina Treiber Interviews mit dem 32-jährigen Historiker aus Nikitsch zur Geschichte des Burgenlandes. Die erste Folge gibt es am Donnerstag, 14. Jänner 2021, um 20.04 Uhr. Danach wird die 13-teilige Gesprächsreihe jeden letzten Donnerstag im Monat, 20:04 Uhr, in Radio Burgenland Extra ausgestrahlt. Mehr dazu in „100 Jahre Burgenland“ im ORF Burgenland.