Anschluss
„Geschichte im Gespräch“

Der „Anschluss“ im Burgenland

In der Serie „100 Jahre Burgenland – Geschichte im Gespräch“ gibt Historiker Michael Schreiber einen Überblick über die Geschichte des Landes, diesmal das Jahr 1938 betreffend: Wie hat sich der sogenannte „Anschluss“ im Burgenland vollzogen? Wie war der Zulauf zur NSDAP und welche NS-Kriegsverbrechen werden Franz Murer vorgeworfen?

Im Februar 1938 unterzeichnete Kurt Schuschnigg das „Berchtesgadener Abkommen“ und machte damit den Weg für die Nationalsozialisten in Österreich frei, indem sie aus der Illegalität entlassen und an der Regierung beteiligt wurden. Dieses Abkommen ermöglichte die massive Einmischung Deutschlands in innerösterreichische Angelegenheiten und beschleunigte in den folgenden Wochen den endgültigen Niedergang des austrofaschistischen Staates.

Priključak Austrije na Nimšku 1938.
STRINGER / AFP / picturedesk.com
Der „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland

Als Reaktion auf den insgesamt enorm gestiegenen nationalsozialistischen Druck kündigte Schuschnigg am 9. März überraschend eine Volksabstimmung über die Selbstständigkeit Österreichs an, die schon am 13. März hätte stattfinden sollen. Zu dieser Volksabstimmung kam es aber nicht mehr: Am 11. März trat Bundeskanzler Kurt Schuschnigg zurück und die Nationalsozialisten übernahmen sukzessive die Macht im Staat. Der sogenannte „Anschluss“ wurde in nur drei Tagen vollzogen.

Der „Anschluss“ und Tobias Portschy

Im Wesentlichen hat sich der sogenannte „Anschluss“ an drei Tagen, vom 11. bis zum 13. März 1938, vollzogen: von innen – mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich, von außen – dem Einmarsch der Wehrmacht und durch die rechtliche Legitimierung – mit dem Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich.

Zemaljski poglavar Gradišća, Tobias Portschy
wikipedia
Tobias Portschy

Das Burgenland wurde mit 15. Oktober 1938 aufgelöst. Während des „Dritten Reiches“ wurde es zwischen den Reichsgauen Niederdonau und Steiermark aufgeteilt, Tobias Portschy war stellvertretender Gauleiter der Steiermark und SS-Oberführer. 1938 legte Portschy außerdem eine Denkschrift mit dem Titel „Die Zigeunerfrage“ vor, die deutlich von den Nürnberger Rassengesetzen beeinflusst war. In dieser forderte er unter anderem die „zigeunische“ Minderheit einem Schulverbot und der Zwangssterilisation zu unterwerfen und sie in Arbeitslager einzuweisen. Portschy konnten nach dem Zweiten Weltkrieg persönlich erteilte Befehle zur Deportation von Juden, Roma und Sinti aus dem Burgenland nicht nachgewiesen werden.

Nationalsozialisten im Burgenland

Ab 1923 waren die ersten nationalsozialistischen Gruppen in Bruckneudorf, Sauerbrunn und Mattersburg nachweisbar. Auch Unter- und Oberschützen wurden vom späteren NS-Landeshauptmann Tobias Portschy als frühe Zentren nationalsozialistischer Aktivitäten beschrieben. Es waren vor allem Studenten und Akademiker, Beamte und Bauern aus protestantischen Gemeinden, die früh mit der NSDAP sympathisieren. Hinzu kamen Sympathisanten der Großdeutschen Volkspartei. Karl Wollinger beispielsweise, der sich sehr um die Angliederung des Burgenlandes an Österreich bemüht hatte, hielt 1924 Hermann Göring, nach einem gescheiterten Putschversuch der Nationalsozialisten in München, bei sich im Südburgenland versteckt.

Sendungshinweis

„Radio Burgenland Extra“, 30.9.2021, 20.04 Uhr

Bedeutend zulegen konnte die NSDAP aber bis in die 1930er Jahre nicht. Bei den Landtagswahlen 1930, bei denen im Burgenland erstmals die NSDAP antrat, errang die Partei nicht einmal ein Prozent der Stimmen. Allerdings wurden Anfang der 1930er Jahre die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise immer stärker spürbar, was vor allem unter den Arbeitslosen zu einem stärkeren Zulauf zur NSDAP führte. Nachdem Adolf Hitler Reichskanzler im Deutschen Reich geworden war, verzeichnete die Partei auch in Österreich und dem Burgenland vermehrt Zulauf, darunter auch aus dem Lager der Sozialdemokraten. Als bekanntes Beispiel kann Koloman Tomsich aus Schandorf genannt werden, der bis zum Verbot der Sozialdemokratischen Partei Abgeordneter zum Burgenländischen Landtag und als Landesleiter des Republikanischen Schutzbundes im Burgenland tätig war.

NS-Kriegsverbrecher Murer im Burgenland

Fünf Jahre vor dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs verschlug es den Steirer Franz Murer arbeitsbedingt nach Nikitsch und ab Februar 1938 nach Kleinmutschen. Murers Nähe zum Nationalsozialismus nahm in seiner Zeit im Burgenland immer konkretere Züge an. In Kleinmutschen wurde der Kontakt zum Nationalsozialismus stärker. Den finalen Anstoß, der NSDAP beizutreten, dürfte dann ein Gespräch mit dem Kreisleiter von Oberpullendorf Paul Kiss gegeben haben. Über die NS-Kaderschmiede Krössinsee kam Murer im Sommer 1941 nach Wilna [Anm. heute Vilnius, Hauptstadt von Litauen], wo er zu einer zentralen Figur bei den Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung wurde: In der Zeit von 1941 bis 1943 war er in Wilna maßgeblich an der Vernichtung von über 70.000 Jüdinnen und Juden beteiligt.

1948 wurde Franz Murer vor dem Militärtribunal in Wilna zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, allerdings 1955 gemäß den Vorgaben zum Österreichischen Staatsvertrag wieder freigelassen. Ein neuerlicher Prozess Anfang der 1960er-Jahre in Graz endete in einem Freispruch.

„100 Jahre Burgenland“ im ORF Burgenland

In Anlehnung an die wöchentliche Serie in der Volksgruppen-Kultursendung ist in „Radio Burgenland Extra“ die 13-teilige Gesprächsreihe mit Historiker Michael Schreiber in deutscher Sprache zu hören. Unter dem Titel „100 Jahre Burgenland – Geschichte im Gespräch“ führt Kulturredakteurin Bettina Treiber Interviews mit dem 32-jährigen Historiker aus Nikitsch zur Geschichte des Burgenlandes. Die Gesprächsreihe wird jeden letzten Donnerstag im Monat um 20.04 Uhr in „Radio Burgenland Extra“ ausgestrahlt und sie gibt es als Podcast zum Nachhören: „Radio Burgenland Extra“ als Podcast