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„Geschichte im Gespräch“

Befreiung und Besatzung: Nachkriegszeit im Burgenland

Die Nachkriegszeit beschäftigt Historiker Michael Schreiber in dieser Ausgabe von „100 Jahre Burgenland – Geschichte im Gespräch“: ausgehend von der Frage, wie die Burgenländerinnen und Burgenländer die Besatzung erlebt haben, bis hin zum Ungarnaufstand von 1956.

Als die ersten sowjetischen Truppen am 29. März 1945 den Südostwall überschritten, dauerte es nicht lange bis sie das Nord- und Mittelburgenland kontrollierten. Während im Südburgenland noch länger gekämpft wurde, galt der Fokus des sowjetischen Vorstoßes der Befreiung Wiens. Damit war das Burgenland zum Hinterland der Front geworden und hatte die Truppen mit Lebensmitteln und Hilfsgütern zu versorgen. Während die Soldaten an der vordersten Front noch als Befreier kamen, hielten mit den Nachschubkolonnen willkürliche Requirierungen, Exekutionen und Vergewaltigungen Einzug.

Historiker Michael Schreiber
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Der Historiker Michael Schreiber von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft

Dieser teilweise wochenlang anhaltende Zustand der willkürlichen Herrschaft zerschlug oder verhinderte oftmals die Wahrnehmung, dass die sowjetische Armee als Befreier ins Land gekommen war. Die sowjetische Armeeführung war allerdings sehr daran interessiert als Befreier gesehen zu werden und eine funktionierende Verwaltung in den einzelnen Gemeinden zu installieren. Es wurden neue Bürgermeister eingesetzt. Dabei wurden entweder jene ins Amt gesetzt, die schon vor 1938 Bürgermeister waren oder Kommunisten bzw. jene, die sich als solche ausgaben. In manchen Orten wurden sogar Wahlen abgehalten. Mit der Einrichtung der Ortskommandanturen wurde den Übergriffen und Plünderungen der sowjetischen Soldaten ein Riegel vorgeschoben und die Lage in den Orten entspannte sich merklich.

Selbstständiges Bundesland

Seit dem 15. Oktober 1938 war das Burgenland auf die Gaue Niederdonau und Steiermark aufgeteilt gewesen. An diesem Umstand wollten die Bundesländer Niederösterreich und Steiermark auch unmittelbar nach dem Ende des Krieges nichts ändern. Am 11. April 1945 lud Lorenz Karall verschiedene Politiker nach Mattersburg, um über die Zukunft des Burgenlandes zu beraten. Dabei wurde ein „Provisorisches Landeskomitee“ gebildet, welches sich die Wiedererrichtung eines eigenständigen Burgenlandes zum Ziel gesetzt hatte. Zunächst war dieses Komitee allerdings zur Untätigkeit gezwungen, da der Krieg noch nicht beendet und keine neue Regierung gebildet war. Am 11. Mai lud Karall erneut nach Mattersburg, um aus dem Komitee den „Provisorischen Landesausschuss“ zu bilden. Nach zähen Verhandlungen konnte am 29. August ein Verfassungsgesetz verabschiedet werden, das die Wiedererrichtung des selbstständigen Bundeslandes Burgenland zum Inhalt hatte.

Lovre Karall
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Lorenz Karall

Obwohl die sowjetische Besatzungsmacht nicht in diese Verhandlungen eingebunden war, war sie doch an der Wiedererrichtung eines selbstständigen Burgenlandes beteiligt. Denn einerseits lag das Bundesland zur Gänze in ihrer Besatzungszone, was den Verwaltungsaufwand für Niederösterreich und die Steiermark enorm verkomplizierte. Andererseits war die Besatzungsmacht auch daran interessiert, den Kontakt der westlichen Alliierten zu den bereits von der Sowjetunion besetzten Staaten zu unterbinden. Da kam das Burgenland als Puffer sehr gelegen. Die konstituierende Sitzung der neuen provisorischen Landesregierung fand am 1. Oktober 1945 statt. Ludwig Leser wurde so der erste Landeshauptmann des Burgenlandes nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Ludwig Leser
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Ludwig Leser

Leben in der sowjetischen Besatzungszone

Der Alltag in der Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war geprägt von Entbehrung und Leid. Da ein großer Teil der Männer entweder im Krieg gefallen oder noch in Kriegsgefangenschaft war, musste die Arbeit, die im Haus und auf den Feldern anfiel, von Frauen erledigt werden. Die Versorgung mit Lebensmitteln funktionierte teilweise sehr schlecht – vor allem im Winter 1945/46. Im Vergleich zu den Verhältnissen in den Städten Wien und Graz war die Versorgungslage im Burgenland allerdings erträglich, da es auf dem Land möglich war, sich mit Lebensmitteln selbst zu versorgen. Was fehlte waren Verbrauchsgüter, weswegen ein reger Tausch- und Schleichhandel aufkam. Vor allem aus Wien kamen viele Menschen ins Burgenland, um Vermögenswerte gegen Lebensmittel zu tauschen. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Kriegsende normalisierte sich das Verhältnis zur Besatzungsmacht und der Wiederaufbau begann auch im Burgenland anzulaufen.

Allerdings verlief der Wiederaufbau in der sowjetischen Besatzungszone unter gänzlich anderen Vorzeichen als im Rest Österreichs. Während im Westen große Projekte aus dem Marshall-Plan finanziert wurden und die Wirtschaft wieder in Schwung kam, versuchten die Sowjets, Reparationszahlungen mittels des USIA-Konzerns aus ihrer Besatzungszone zu pressen. Die USIA-Betriebe waren beschlagnahmte Betriebe, die unter sowjetischer Aufsicht standen und deren Gewinne an die Sowjetunion abgeführt werden mussten. Dieser Umstand führte dazu, dass sich das Burgenland nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags – am 15. Mai 1955 im Schloss Belvedere in Wien – wirtschaftlich erneut weit hinter die übrigen Bundesländer geworfen sah.

Sovjetski vojaki
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Sowjetische Soldaten

Entnazifizierung

Schon im Jahr 1945 stellte sich in Österreich – und damit auch im Burgenland – die Frage, wie man mit den ehemaligen Mitgliedern der NSDAP umgehen sollte. Dabei handelte es sich um eine der zentralen Fragen der österreichischen Nachkriegszeit, da es 1945 im gesamten Land immerhin noch 550.000 Parteimitglieder gab, das entsprach rund 8 Prozent der damaligen österreichischen Wohnbevölkerung. Im Burgenland war der Anteil mit 5,8 Prozent bzw. etwa 15.000 Mitgliedern unterdurchschnittlich. Am 8. Mai, also an jenem Tag an dem der Krieg in Europa beendet worden war, wurde mit dem sogenannten „Verbotsgesetz der NSDAP“, dem wenige Tage später erlassenen Kriegsverbrechergesetz sowie dem Wirtschaftssäuberungsgesetz die gesetzliche Grundlage zur Verfolgung der Nationalsozialisten gelegt. Damit wurde mit dem österreichweit einsetzenden Prozess der sogenannten Entnazifizierung begonnen.

Während die Militärbehörden in den westlichen Besatzungszonen in der ersten Phase der Entnazifizierung rigoros durchgriffen und massenhaft ehemalige Nationalsozialisten verhafteten, hielten sich die Verhaftungen in der sowjetischen Zone in Grenzen. Dies liegt zum einen daran, dass viele Parteigranden vor der sowjetischen Armee in Richtung Westen geflohen waren und andererseits an der passiven Rolle der Sowjets, die die Entnazifizierung weitestgehend den österreichischen Behörden überließen. Die Urteile über die gefassten Nationalsozialisten fällten sogenannte Volksgerichte, bestehend aus zwei Berufsrichtern und drei Schöffen.

Hitlerov znak
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Nazi-Symbole wurden zerstört

Die ehemaligen Parteimitglieder waren auch in der sowjetischen Zone aufgerufen, sich selbstverantwortlich bei den Behörden registrieren zu lassen. Gegen die Aufnahme in diese Registrierungsliste konnte bei Einspruchs- und Beschwerdekommissionen protestiert werden. 1947 trat mit dem neuen Nationalsozialistengesetz ein Wandel im Entnazifizierungsprozess ein: Nun wurde zwischen Belasteten und Minderbelasteten unterschieden. Bis zur Aufhebung der Volksgerichte 1955 wurden Anklagen gegen 876 Burgenländer erhoben, die aber lediglich in 196 Fällen zu Schuldsprüchen führten.

Heimkehr der Kriegsgefangenen

Ende 1945 kamen die ersten Kriegsgefangenen zurück ins Burgenland. Dabei handelte es sich in erster Linie um kranke und invalide Soldaten, die vereinzelt zurück ins Burgenland geschickt wurden. Die Gefangenen in den westlichen Zonen wurden meist an Ort und Stelle ihrer Inhaftierung entlassen und mussten sich ihre Heimkehr weitestgehend selbst organisieren. Aufgrund einer fehlenden zentralen Organisation sind diese Kriegsheimkehrer schlecht dokumentiert, allerdings lässt sich sagen, dass alle Kriegsgefangenen der westlichen Alliierten bis 1947 entlassen worden sind.

Sendungshinweis

„Radio Burgenland Extra“, 18.11.2021, 20.04 Uhr

Am 12. September 1947 kam auch der erste vom Innenministerium organisierte und geordnete Transport von Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion in Wiener Neustadt an. Unter den etwa 2.000 Heimkehrern waren auch 82 Burgenländer. Sie wurden mit Bussen und LKW weiter ins Burgenland transportiert. Bis 1956 gab es insgesamt 79 solcher geordneten Rücktransporte aus der Sowjetunion, bei denen 3.850 Burgenländer zurückkehrten.

Die meisten Soldaten kehrten schwer traumatisiert aus dem Krieg bzw. der Gefangenschaft zurück. Gemischt mit den Erfahrungen ihrer Familien zu Hause führte dies oft zu enormen emotionalen und sozialen Problemen. Die Frage nach dem Verhalten der Soldaten im Krieg wurde innerhalb der Familie und auch in der Öffentlichkeit kaum gestellt. Charakteristisch waren das Verdrängen und Verschweigen.

Beginn des Kalten Krieges

Die Welt, in die die Kriegsgefangenen zurückkehrten, war bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges neuerlich von politischen Spannungen und großer Unsicherheit geprägt. Spätestens 1947 traten die Gegensätze zwischen den USA und ihren Verbündeten auf der einen und der Sowjetunion auf der anderen Seite offen zutage. Auslöser für das Auseinanderbrechen waren einerseits die Ambitionen der Sowjetunion, ihren Einflussbereich weiter nach Westen und in den Iran zu erweitern, und andererseits die Truman-Doktrin, in welcher der damalige US-Präsident Harry S. Truman allen Regierungen bei der Eindämmung des Kommunismus die Unterstützung der USA zusagte.

Harry Truman
Greta Kempton, via Wikimedia Commons
US-Präsident Harry S. Truman

Dieser immer schärfer werdende Gegensatz zwischen Ost und West hatte auch für das Burgenland schwerwiegende Konsequenzen. Zum einen verschlechterte sich das Verhandlungsklima rund um den Österreichischen Staatsvertrag. Zum anderen verlief der sogenannte „Eiserne Vorhang“ für die nächsten Jahrzehnte entlang der burgenländischen Ostgrenze. Schon 1948 wurde damit begonnen, entlang der burgenländischen Grenze Stacheldraht zu verlegen. Damit hatte die große Weltpolitik neuerlich das kleine Burgenland erreicht.

Ungarnaufstand 1956

Während Österreich 1955 seinen Staatsvertrag bekam und als neutraler Staat zwischen Ost und West – allerdings charakterisiert durch eine deutliche Nähe zum Westen – existierte, blieb Ungarn ein Teil des sowjetischen Einflussbereichs. In Ungarn standen immer noch sowjetische Truppen, zudem war das Land auch politisch und wirtschaftlich von der Sowjetunion abhängig. Nach dem Tod Stalins 1953 wurde Nikita Chruschtschow neuer Chef der KPdSU. Im Feber 1956 machte er durch seine fünfstündige Rede „über den Personenkult und seine Folgen“ auf dem Parteitag der KPdSU die Entstalinisierung zur offiziellen Parteilinie in der Sowjetunion. Dies schlug in den Ostblockländern zum Teil recht hohe Wellen.

Im Juni kam es in Polen zu einem Streik, der von der polnischen Armee niedergeschlagen wurde. Am 23. Oktober protestierten in Budapest Studierende, um die Arbeiter in Polen zu unterstützen und den ehemaligen Landwirtschaftsminister und Ministerpräsidenten Imre Nagy zurück im Amt des Ministerpräsidenten zu sehen. Nachdem auf die Protestierenden geschossen wurde, schaukelte sich der Protest zunehmend zum Volksaufstand auf, bei dem die Sowjetunion hart durchgriff und am 4. November in Ungarn einmarschierte. Bis Mitte November wurde der Aufstand mit Panzern niedergewalzt und János Kádár als Generalsekretär der Partei an die Spitze des Staates gehoben.

Spomenik Imri Nagyju u Budimpešti
Statue von Imre Nagy in Budapest

Die Folgen im Burgenland

Die Vorgänge in Ungarn sind im Burgenland schon sehr früh wahrgenommen worden. Zum einen hat man die Vorgänge in den Medien genau beobachtet, zum anderen tauchte schon am 27. Oktober 1956 das Bundesheer entlang der burgenländischen Ostgrenze auf. Auch flüchteten schon in den Anfangstagen des Aufstandes die ersten Ungarn über die Grenze. Bis 4. November hielten sich die Zahlen der Geflüchteten allerdings in Grenzen.

Lediglich etwas mehr als 1.300 Ungarn kamen nach Österreich, die meisten von ihnen kommunistische Funktionäre, die nach dem 4. November wieder nach Ungarn zurückkehrten. Im Innenministerium rechnete man mit etwa 6.000 Flüchtlingen, für die man Versorgungsdepots – z.B. in Siegendorf, Klingenbach oder Güssing – anlegte und die Beamtensiedlung in der Ignaz-Till-Straße in Eisenstadt zu provisorischen Unterkünften herrichtete. Mit der Niederschlagung des Volksaufstandes stieg ab dem 4. November die Zahl der Flüchtlinge stark an.

Alleine in Klingenbach waren es an diesem Tag 4.000 Menschen, die über die Grenze flüchteten. In den folgenden Tagen und Wochen flüchteten etwa 200.000 Menschen aus Ungarn. Im Burgenland wurden sie zumeist sehr freundlich aufgenommen und erstversorgt. Zu einem Symbol für diese Fluchtbewegung wurde die Brücke bei Andau, über die etwa 70.000 Ungarn nach Österreich fliehen konnten. Nachdem der Volksaufstand in Ungarn niedergeschlagen war, wurde die ungarische Seite der Grenze mit Stacheldraht verstärkt und mit Türmen und Minen gesichert. Der „Eiserne Vorhang“ hatte sich wieder zugezogen.

„100 Jahre Burgenland“ im ORF Burgenland

In Anlehnung an die wöchentliche Serie in der Volksgruppen-Kultursendung ist in „Radio Burgenland Extra“ die 13-teilige Gesprächsreihe mit Historiker Michael Schreiber in deutscher Sprache zu hören. Unter dem Titel „100 Jahre Burgenland – Geschichte im Gespräch“ führt Kulturredakteurin Bettina Treiber Interviews mit dem 32-jährigen Historiker aus Nikitsch zur Geschichte des Burgenlandes. Die Gesprächsreihe wird jeden letzten Donnerstag im Monat um 20.04 Uhr in „Radio Burgenland Extra“ ausgestrahlt und sie gibt es als Podcast zum Nachhören: „Radio Burgenland Extra“ als Podcast