Eindrücklich erzählt Viktor Kondratov die schicksalshaften Ereignisse am 23. Dezember des Vorjahres: Kondratov ist Wachmann in einem Hochhaus in Cherson. Plötzlich wird das Haus von einer Rakete getroffen. „Ich war mit einem Kollegen in dem Gebäude, wir haben einen Rundgang gemacht. Plötzlich hörten wir ein lautes Geräusch. Alles ist durch die Luft geflogen, die Decke ist runtergestürzt und ich habe extreme Schmerzen in meinem Oberschenkel gespürt. Dann bin ich bewusstlos geworden und erst wieder aufgewacht, als ich vom Rettungsauto in ein Krankenhaus gebracht wurde“, erzählt Kondratov.
Angriff auch auf das Krankenhaus
Viktors Oberschenkel wird zertrümmert, noch in Cherson wird er erstmals operiert. Die Anschläge auf die Stadt nehmen zu dieser Zeit kein Ende. „Am nächsten Tag ist das Krankenhaus ebenfalls von Raketen attackiert worden. Die Fenster wurden zerstört und überall in meinem Zimmer sind Glassplitter gelegen. Ich wollte Cherson zwar nie verlassen, aber an diesem Tag habe ich gewusst, dass es zu gefährlich ist, um weiter zu bleiben“, so Kondratov.
Der 63-Jährige wird nach Odessa gebracht, wohin seine Familie einige Monate zuvor geflüchtet ist und in Sicherheit lebt. Da Viktors Verletzung in der Ukraine aber nicht ausreichend behandelt werden kann, wendet sich seine Tochter an internationale Hilfsorganisationen. So kommt er Anfang März nach Eisenstadt. „Ich bin sehr froh, hier zu sein und fühle mich in Sicherheit. Ich muss keine Angst haben, dass irgendetwas explodiert oder eine Bombe einschlägt. Am Anfang habe ich mich aber gefürchtet, als am Dach des Krankenhauses der Hubschrauber gelandet ist. Da hatte ich Angst, dass jetzt auch hier der Krieg anfängt“, so Kondratov.
Rekonstruktion statt Amputation des Beines
Im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder wird Viktor operiert. Die Ärzte versuchen alles, sein Bein zu rekonstruieren und vor einer Amputation zu bewahren. „In der heutigen Zeit ist die ist die Therapie der Wahl sicherlich die Rekonstruktion des Beines, nicht die Amputation. Deswegen ist er auch nach Österreich gekommen“, sagt Jochen Erhart, Abteilungsvorstand Orthopädie und Traumatologie.
Mehrmals am Tag telefoniert der 63-jährige Viktor Kondratov mit seiner Familie. Er vermisst sie sehr, sagt er. Viktor kann zwar weder deutsch noch englisch, aber er hat ein Sprachrohr. Olena Mikula ist gleich zu Kriegsbeginn geflohen und derzeit in Basisausbildung im Krankenhaus in Eisenstadt. Sie vermittelt zwischen Viktor und den Ärzten. „Ich bin sehr froh, dass Olena hier ist. Ich kann mit ihr sprechen und sie alles fragen. Sie hilft mir jederzeit – das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit“, so Viktor Kondratov.
So schnell wie möglich zurück nach Cherson
Noch ein paar Wochen soll Viktor im Krankenhaus bleiben – bis sein Bein aber wieder vollständig repariert ist kann es noch Monate dauern. Dann will er wieder zurück in seine Heimat Cherson – doch erst, wenn sich die Lage zumindest ein wenig beruhigt hat. Erst vorige Woche etwa ist das Spital in Cherson erneut bombardiert worden. Dabei ist unter anderem die Geburtenstation, wo sich Frauen und Kinder aufgehalten haben, zerstört worden.
„Ich bin hin und wieder in Kontakt mit meinem Nachbarn, der noch in Cherson lebt. Sobald er mir sagt, dass der Beschuss weniger wird, gehe ich sofort zurück. Es muss nicht einmal der Krieg ganz aus sein, es reicht mir schon, wenn sich die Situation ein wenig verbessert. Dann gehe ich sofort zurück in meine Heimat“, so Kondratov.