VEDRAN DZIHIC im Gespräch mit Martin Ganster
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Chronik

Ukraine-Krieg: „Viele werden für immer hier bleiben“

Vor genau einem Jahr hat Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Die Folgen sind Zerstörung, Tod, Leid und Millionen Flüchtlinge. Das Burgenland stellte seine Hilfsbereitschaft unter Beweis und gab mehr als 2.000 Vertriebenen eine neue Heimat. Viele von ihnen werden wohl für immer hier bleiben, sagte Osteuropaexperte Vedran Dzihic am Freitag im „Burgenland heute“-Interview.

Dzihic ist selbst vor 30 Jahren aus Bosnien geflüchtet. Im Burgenland fand er damals eine neue Heimat. Heute ist Dzihic Wissenschaftler am Österreichischen Institut für internationale Politik – mit Spezialgebiet Ost- und Südosteuropa, Europäische Integration und Konfliktforschung. Er geht davon aus, dass viele der insgesamt 2.213 ukrainischen Flüchtlingen, die derzeit im Burgenland leben, auch dauerhaft hier bleiben werden.

„Viele Ukrainierinnen und Ukrainer wollen Beitrag leisten“

„Wir wissen aus den 1990er Jahren, dass in etwa 60 bis 70 Prozent der Flüchtlinge, die damals kamen, geblieben sind“, sagte der Experte am Freitag im „Burgenland heute“-Studiogespräch. Je länger der Krieg dauere, umso geringer werde die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr der Flüchtlingen in ihre Heimat, da sich das Leben der Menschen in der Zwischenzeit grundlegend ändere. „Ich gehe wirklich davon aus, dass viele Ukrainerinnen und Ukrainer für immer in Österreich bleiben werden“, so Dzihic.

Osteuropa-Experte zum Thema Flucht

Vedran Dzihic ist vor 30 Jahren aus Bosnien ins Burgenland geflüchtet. Heute ist er Südosteuropa-Experte am österreichischen Institut für internationale Politik. IM Studio spricht er über seine Flucht damals und die aktuelle Situation der Geflüchteten Menschen aus der Ukraine.

Die Frage der Integration sei immer heikel, es sei jedenfalls eine „Zweibahnstraße“. „Die Aufnahmegesellschaft muss einiges an Voraussetzungen schaffen, aber auf der anderen Seite müssen auch diejenigen, die nach Österreich kommen, die Integrationsbereitschaft zeigen“, so Dzihic. Er kenne auch viele Ukrainerinnen und Ukrainer „und die wollen Deutsch lernen, die wollen einen Beitrag leisten“. Der Staat müsse die entsprechenden Rahmenbedingungen vorgeben.

Das Leben der Flüchtlinge im Burgenland

Die Mehrheit der derzeit im Burgenland lebenden Flüchtlingen ist in der Grundversorgung. Die Hälfte der Menschen wohnt privat, die anderen sind in organisierten Unterkünften untergebracht. Sechs von zehn ukrainischen Flüchtlingen im Burgenland sind Erwachsene, die anderen sind Kinder und Jugendliche unter 18. Zum überwiegenden Teil sind es Frauen, die aus ihrer Heimat flüchten mussten. Ein Viertel der Erwachsenen ist über 60 Jahre alt.

Ein Jahr Krieg: Ukrainer im Burgenland

Tausende Ukrainerinnen und Ukrainer sind seit Beginn des Krieges nach Österreich geflüchtet. Aktuell leben rund 2.200 Vertrieben aus der Ukraine im Burgenland. Auch für die Burgenländerinnen und Burgenländer hat der krieg einiges im Alltag verändert.

In den burgenländischen Schulen werden derzeit 527 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine unterrichtet. 225 gehen in die Volksschule, 165 in die Mittelschule, 89 in Gymnasien und 48 in sonstige Schulen. Außerdem ist eine aus der Ukraine geflüchtete Person als Lehrkraft im Burgenland tätig.

Ukrainische Flüchtlingsfamilie in Trausdorf
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Mehr als 500 Kinder aus der Ukraine gehen im Burgenland zur Schule

Zeichnungen zeigen wie Kinder den Krieg verarbeiten

Wie traumatisch der Krieg für seine jüngsten Opfer ist, ist derzeit in einer Ausstellung auf Burg Schlaining zu sehen. Sie trägt den Titel „Trümmer, Träume, Tauben – 1 Jahr Ukraine Kriegsausbruch“. Panzer und Raketen, eine offenbar zurückgelassene geliebte Katze, aber auch eine Friedenstaube – das Unsagbare des Krieges findet in Zeichnungen der jüngsten Opfer ein Ventil. Entstanden sind sie in der von Caritas und SOS Kinderdörfern eingerichteten Schutzzone am Wiener Hauptbahnhof.

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Ausstellung mit Zeichnungen ukrainischer Kinder auf Burg Schlaining
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Ausstellung mit Zeichnungen ukrainischer Kinder auf Burg Schlaining
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Ausstellung mit Zeichnungen ukrainischer Kinder auf Burg Schlaining
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Ausstellung mit Zeichnungen ukrainischer Kinder auf Burg Schlaining
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Ausstellung mit Zeichnungen ukrainischer Kinder auf Burg Schlaining
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Ausstellung mit Zeichnungen ukrainischer Kinder auf Burg Schlaining
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Ihre Wünsche haben ukrainische Kinder am Freitag mit Luftballons in Stadtschlaining versendet – auf den Zetteln steht ganz oft ein einziges Wort: Friede.

Ukraine-Flüchtlinge und der Arbeitsmarkt

Damit Flüchtlinge aus der Ukraine in Österreich arbeiten dürfen, brauchen sie eine sogenannte Beschäftigungsbewilligung. Ausgestellt wird sie vom AMS, beantragt vom Arbeitgeber. Die Bezahlung richtet sich nach dem Kollektivvertrag der jeweiligen Branche, die Bewilligung gilt für ein Jahr. Aktuell sind im Burgenland 148 Beschäftigungsbewilligungen des AMS aufrecht. Der größte Teil arbeitet in der Raumpflege bzw. im Reinigungsbereich, in der Landwirtschaft sowie in der Gastronomie, heißt es vom AMS.

Die 35-jährige Yana Balun ist aus der Ukraine ins Burgenland geflüchtet. Seit Juni arbeitet sie im Gasthaus Landl in Rohrbach bei Mattersburg. Neben ihr steht die Wirtin Hermine Landl
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Die 35-jährige Yana Balun ist im April aus der Ukraine ins Burgenland geflüchtet. Seit Juni arbeitet sie im Gasthaus Landl in Rohrbach bei Mattersburg. Wirtin Hermine Landl hat ihr eine Chance gegeben.

Der Einstieg in den Arbeitsmarkt soll jedenfalls erleichtert werden, das hat Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) Anfang Februar angekündigt. Ukrainerinnen und Ukrainer sind dann am Arbeitsmarkt gleichgestellt mit Österreichern und sonstigen EU-Bürgern. Umgesetzt werden soll das voraussichtlich im zweiten Quartal diesen Jahres, heißt es von Kocher.

Doskozil bedankt sich für Hilfsbereitschaft

„Wir haben uns im Burgenland von Beginn an des Krieges um humanitäre Hilfe für die betroffenen Menschen bemüht, wo immer es möglich ist – und die Hilfsbereitschaft der Burgenländerinnen und Burgenländer ist groß“, so Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) in einer Aussendung. Das Burgenland und seine Menschen zeichne aus, schwierige Situationen aktiv zu meistern und Menschen in der Not beizustehen. „Diese Solidarität, dieses herausragende zivilgesellschaftliche Engagement macht mich stolz“, so Doskozil.

Auch Landesrat Leonhard Schneemann (SPÖ) zog am Jahrestag des russischen Angriffs Bilanz über die bisherigen Hilfeleistungen. Insgesamt seien 60 Sattelzüge mit rund 1.800 Paletten an Sachgütern in die Ukraine geschickt worden. Zudem sei es dem Land ein großes Anliegen gewesen Flüchtende vor Ort abzuholen um ihnen den beschwerlichen Weg der Flucht zu erleichtern, so Schneemann. Den Menschen seien dann auch entsprechende Quartiere zur Verfügung gestellt worden.

Auswirkungen auf Energiesektor

Die Auswirkungen dieses Krieges sind sehr vielseitig und in vielen Bereichen spürbar. Vor allem auch die steigenden Preise im Energiebereich sind eine Folge des Krieges, sagt Energieexperte Gernot Hanreich von der Fachhochschule Burgenland. Die Preise würden auch viele Menschen dazu bewegen energie-unabhängiger werden zu wollen, so der Experte.

„Es stellt sich immer die Frage: ‚Wo kann ich einsparen und wo bin ich beispielsweise als Berufspendler gezwungen, weiterhin die Energie zu konsumieren?‘ Aber alles in allem hat es durchaus einen Rückenwind für Initiativen im Bereich der erneuerbaren Energien gegeben und in einigen Bereichen einen direkten Boom, denken wir an Photovoltaik, denken wir beispielsweise auch an Wärmepumpen“, so Hanreich.