Reportage Gefängnis in Coronazeiten in der Justizanstalt Eisenstadt
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Chronik

Justiz durch Schlepper an Belastungsgrenze

Die große Zahl an festgenommenen Schleppern bringt die Justiz im Burgenland an die Belastungsgrenze. Die Justizanstalt Eisenstadt ist seit Mai regelmäßig überbelegt. Sie ist für 175 Insassen vorgesehen, zählt aber meist 200 bis 220.

Rund 70 Prozent der Insassen seien wegen Schlepperei in Haft, sagte der stellvertretende Leiter Klaus Faymann im APA-Interview. Einen Mehraufwand bedeutet das auch für das Landesgericht Eisenstadt, das neun bis zehn Schlepper-Prozesse pro Woche verhandelt.

Häftlinge werden in andere Justizanstalten überstellt

Dass mehr Häftlinge in der Justizanstalt seien als eigentlich vorgesehen, merke man in vielen Bereichen: beim Essen ebenso wie beim sozialen Dienst und bei den Ärzten, die dadurch mehr angefragt werden. „Das System selbst kommt an seine Grenzen“, betonte Faymann. Deshalb werden immer wieder Insassen in andere Justizanstalten überstellt – hauptsächlich verurteilte, teilweise aber auch U-Häftlinge, die auf ihre Verhandlung warten. Nur so könne man wieder Platz für Neuaufnahmen schaffen, meinte Faymann.

Reportage Gefängnis in Coronazeiten in der Justizanstalt Eisenstadt
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Die Zellen der Justizanstalt Eisenstadt sind meist überbelegt

Die Fluktuation in der Justizanstalt sei dementsprechend groß, die eigentliche Vollzugsarbeit mit Freizeit- und Bildungsaktivitäten nicht mehr zu schaffen. „Es ist nur noch ein Kommen und Gehen“, sagte Faymann. Während der Flüchtlingskrise 2015 seien die Zahlen noch einmal deutlich höher gewesen, aber: „Es ist nicht mehr meilenweit entfernt.“

Hoffnung auf Entspannung der Lage im Winter

Vor allem im Sommer seien zeitweise fast nur noch Personen wegen Schleppereidelikten festgenommen worden. In Richtung der kalten Jahreszeit habe das mittlerweile etwas nachgelassen. In der Justizanstalt hoffe man jedenfalls auf eine Entspannung der Situation. Die zusätzliche Belastung für die Mitarbeiter dauere nun schon lange. „Einen Motor kann man auch nicht dauernd im roten Bereich fahren“, betonte Faymann.

Auch die Zahl an Schlepperinnen in der Justizanstalt ist in den vergangenen Wochen angestiegen. 19 Plätze für Frauen gibt es hier -die sind ebenfalls alle belegt. Wöchentlich werden 15 bis 20 Inhaftierte nach Krems oder St. Pölten gebracht, weil der Platz in Eisenstadt nicht ausreicht.

„Wir können die Kernaufgaben Sicherheit und Ordnung auf jeden Fall leisten. Das tun wir auch sehr professionell. Da sind wir sehr geübt, auch aus dem Herbst 2015, aus dieser Migrationswelle. Aber Freizeitgestaltung leidet sehr darunter, Betreuung der Insassen ist natürlich nur mehr eingeschränkt möglich, weil ich eben die Kernaufgaben zu erledigen habe“, so Faymann gegenüber dem ORF Burgenland.

Neun bis zehn Schlepper-Prozesse pro Woche

Auch am Landesgericht Eisenstadt spürt man die zahlreichen Festnahmen wegen Schlepperei. Üblicherweise würden wöchentlich ein bis zwei Prozesse gegen Schlepper verhandelt, derzeit seien es neun bis zehn, Tendenz steigend, sagte Vizepräsident Bernhard Kolonovits im Gespräch mit der APA. Die Situation sei vor allem personell eine Herausforderung, zumal bei einer Anklage wegen Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung ein Schöffengericht verhandle, wodurch gleich zwei Berufsrichter gebunden seien.

Justizzentrum Eisenstadt
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Auch am Landesgericht spürt man die Mehrbelastung

Außerdem seien die Angeklagten großteils in U-Haft. Dadurch müsse der Fall schnell verhandelt werden, um Haftfristen einhalten zu können. Schon innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme eines Schleppers brauche es einen Richter, der über die Verhängung der Untersuchungshaft entscheide. Mit der Flüchtlingskrise 2015 sei die Lage derzeit noch nicht vergleichbar, sollte sie sich weiter verschärfen, brauche es aber „allenfalls eine personelle Aufstockung“, sagte Kolonovits. Die Belastung sei für die Strafrichter „an der obersten Grenze“. Auch die Zahl der Prozesse insgesamt habe sich von ungefähr 16 pro Woche auf 25 erhöht.

Fast alle Schlepper verurteilt

Fast alle Schlepper werden laut Kolonovits verurteilt: „Sie werden auf frischer Tat ertappt, da gibt es keine Ausreden.“ Die Handyauswertung bringe meist weitere Schleppungen ans Licht. Viele Angeklagte seien deshalb auch geständig. Zumeist bekommen sie mehrjährige Haftstrafen – einerseits aus Gründen der Generalprävention, andererseits, weil zur Schlepperei häufig auch andere Delikte dazukommen. Das ist etwa der Fall, wenn Schlepper versuchen zu flüchten, Unfälle mit Verletzten verursachen, auf Polizisten zufahren oder die Migranten im Fahrzeug schon fast keine Luft mehr bekommen.

Kolonovits: Hintermänner werden immer vorsichtiger

Auffällig sei, dass die Schlepper gut organisiert und die Hintermänner immer vorsichtiger seien, meinte Kolonovits. Die Angeklagten würden meist nur einen Auftraggeber, teilweise auch gar keinen kennen. Am Landesgericht hofft man jedenfalls, wie in der Justizanstalt, auf eine Entspannung der Situation, wenn es Richtung Winter wieder kälter wird.

Wie brutal die Schlepper vorgehen, zeigen die aufwendigen Ermittlungen im Rahmen der Verfahren. „Bei den Chatprotokollen kann man oft lesen, dass die Auftraggeber darauf hinweisen, dass die Schlepper einfach immer fahren sollen und nicht auf das Klopfen der Geschleppten hören sollen. Wichtig ist, immer weiterzufahren. Man liest auch Chats, in denen steht, dass man die Geschleppten auch schlagen darf, wenn sie nicht ruhig sind. Was neu ist: Wir haben schon mehrere Fälle jetzt gehabt, in denen die Schlepper Unfälle verursachen, weil sie sich der Festnahme entziehen wollen“, sagt Staatsanwältin Petra Bauer.

Bisher 254 Schlepper festgenommen

Jeden Tag werden im Burgenland derzeit 400 Flüchtlinge, die illegal über die Grenze nach Österreich kamen, aufgegriffen. Mehr als 55.000 waren es in diesem Jahr bereits. Die Polizei nahm heuer bisher auch 254 Schlepper fest. Durch mitunter internationale Kriminalarbeit gelange man auch an die Hintermänner des Schlepperwesens, erklärte Landespolizeidirektor Martin Huber. Die Zahl der Flüchtlinge sei hoch. Mit der Situation des Jahres 2015, als innerhalb zweier Monate mehr als 100.000 Menschen über Nickelsdorf nach Österreich kamen, sei die aktuelle aber nicht vergleichbar, so Huber.

Grenze, Bundesheer, Assistenzeinsatz
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Soldat im Assistenzeinsatz

750 Soldaten im Einsatz an der Grenze

750 Bundesheersoldaten sind aktuell im Assistenzeinsatz an der Grenze. Sie sind gemeinsam mit der Polizei auch für den Weitertransport der aufgegriffenen Personen zu den vier Registrierstellen im Burgenland verantwortlich. Dieser sei eine Herausforderung, so Burgenlands Militärkommandant Gernot Gasser. Die Flüchtlinge seien völlig friedfertig, die Schlepper seien anders zu bewerten.