Commerzialbank, Krensdorf
ORF/Knotzer
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Commerzialbank

Was geschah mit detaillierter Anzeige?

Hätte die Causa Commerzialbank schon früher auffliegen müssen? Anfang Februar 2020 ging eine Anzeige bei Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), Finanzmarktaufsicht (FMA) und Nationalbank (OeNB) ein, die dem ORF Burgenland vorliegt. Sie wirkt wie eine Bedienungsanleitung für Bankbetrug.

Die Kirchengemeinde Forchtenstein war wohl das letzte Opfer des Commerzialbank-Betrugs: Nur einige Tage vor Schließung der Bank wurde das gesamte Barvermögen von rund 250.000 Euro einbezahlt – mehr dazu in Auch Geld von Totem behalten. Dabei hatte es seit Anfang Februar detaillierte Hinweise gegeben, wie das Betrugssystem Pucher funktioniert. Bis zum 14. Juli passierte allerdings nur wenig.

Commerzialbank
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Gefälschte Kreditkonten sollten die Abgänge in der Bank ausgleichen

Die Anzeige liegt dem ORF Burgenland vor und liest sich wie eine Bedienungsanleitung für Bankbetrug. Der Hinweisgeber befürchtete darin sogar, dass die Einlagensicherung schlagend wird. Kernpunkt der Informationen: Geld wurde von Martin Pucher aus der Bank genommen und notleidenden Firmen, unter anderem sogar der eines Aufsichtsrats, übergeben. Zum Teil floss das Geld als Sponsoring an den SVM zurück.

Fotos der Akten
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Auch Fotos aus dem Aktenschrank mit gefälschten Kreditakten wurden der Anzeige beigelegt

Um die Abgänge auszugleichen, gäbe es Hunderte gefälschte Kreditkonten im Wert von insgesamt bis zu 150 Millionen Euro. Die Daten zu mehr als 40 Krediten sind dem Schreiben beigefügt, ebenso wie Fotos der Handakten mit den gefälschten Krediten aus dem Büro Pucher. Auffallend dabei ist, dass viele Kreditnehmer Ärzte und Unternehmer aus dem Großraum Wien sind. Die Kreditsummen, zum Teil bis zu drei Millionen Euro, seien bar ausbezahlt worden. Die Tilgung soll per Erlagschein erfolgt sein. All das sei absolut unüblich und verdächtig, hieß es vom anonymen Hinweisgeber.

Der Weg der Anzeige

Anzeige mit konkreten Fragen und Bitten

Im Schreiben an WKStA, FMA und OeNB formulierte der Hinweisgeber deshalb zahlreiche konkrete Fragen und Bitten. „Wir bitten zu untersuchen, ob die in der Beilage angeführten Kunden/Aktivposten real sind, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Commerzialbank künstlich Kreditgeschäfte eröffnet, wobei die betreffenden Kreditnehmer keine Kenntnis über diese Positionen haben“, hieß es in der Anzeige.

Faksimile aus der Anzeige
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Detaillierte Empfehlungen seitens des Hinweisgebers an die Behörden

Das sei laut Anwalt Johannes Wutzlhofer, der nicht nur die Pfarrgemeinde Forchtenstein vertritt, nicht passiert. „Ab diesem Zeitpunkt, das wissen wir in der Zwischenzeit, hatten die ermittelnden Behörden sehr detaillierte Informationen, wie das System Pucher funktioniert. Es wäre mit relativ einfachen Mitteln und relativ wenig Aufwand möglich gewesen, schon zum damaligen Zeitpunkt einzuschreiten und diese Schäden, die danach entstanden sind, zu verhindern“, so Wutzlhofer.

Anwalt Johannes Wutzlhofer in seiner Kanzlei
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Anwalt Johannes Wutzlhofer

Angebliche Kreditnehmer telefonisch erreicht

Der ORF Burgenland machte die Probe aufs Exempel: Innerhalb einer Stunde erreichten wir fünf angebliche Kreditnehmer telefonisch. Die Kreditsumme von mehr als zehn Millionen Euro ist frei erfunden. Die Kreditnehmer wurden von Februar bis Juli von keiner Behörde kontaktiert oder befragt. Erst nach der Schließung der Bank stellte das Landeskriminalamt fest, dass alle angeführten Kredite tatsächlich gefälscht sind.

Liste der Fake-Kredite
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Die Daten der angeblichen Kreditnehmer

Anwalt Wutzlhofer ist zuversichtlich, dass zumindest für Schäden ab Mitte Februar die Republik aufkommen muss. „Das ist eine Kategorie, wo die Geschädigten einfach darauf bestehen werden, die Schäden auch von den Behörden zu bekommen – für die Teile, die sie nicht von den tatsächlichen Verursachern – den Organen der Bank – bekommen werden. Die Chancen sehen wir in diesem Zusammenhang sehr, sehr gut. Ich würde es sarkastisch sogar so ausdrücken: Bei den Fällen wäre es sogar angebracht, dass man ein Entschuldigungsschreiben schicken würde seitens der Finanzprokuratur“, so Anwalt Wutzlhofer.

Vermeintliche Kreditnehmer am 15. Juli angerufen

Die WKStA hatte die Anzeige jedenfalls im Februar an die FMA weitergereicht. Die FMA verständigte die Nationalbank. Die Nationalbank leitete drei Wochen später eine Untersuchung ein und unterbrach diese wegen der Coronavirus-Krise teilweise. Ende April gab es einen Zwischenbericht, wo es um mögliche Probleme bei der Risikoeinschätzung von Krediten ging. Erst am 14. Juli platzte der gewaltige Betrug nach der Selbstanzeige Puchers, und erst am 15. Juli wurden die mutmaßlich falschen Kreditnehmer erstmals angerufen.

Faksimile aus der Anzeige
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Der Hinweisgeber hoffte auf Ermittlungen seitens der zuständigen Behörden

Fiedler: Amtshaftung könnte schlagend werden

Im „Burgenland heute“-Studiogespräch am Montagabend hielt es der ehemalige Rechnungshof-Präsident Franz Fiedler durchaus für denkbar, dass in dieser Causa die Frage der Amtshaftung schlagend werden könnte – dann nämlich, wenn ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten der Kontrollorgane feststellen könne. Das werde man vermutlich nicht sofort beurteilen können, aber es werde im Zuge der gesamten Aufarbeitung nicht zu umgehen sein, so Fiedler: „Die Chancen sind immerhin vorhanden, ob sie tatsächlich dann real sind, das wird man sehen.“

Gespräch mit Jurist Franz Fiedler

Franz Fiedler erklärt im Studio die Causa Commerzialbank.

Man müsse die Frage stellen, was im Februar geschehen hätte sollen, als die Korruptionsstaatsanwaltschaft die Anzeige erhalten habe, sagte Fiedler. Aus seiner Sicht wäre es damals unbedingt notwendig gewesen, eine Auskunft beim zentralen Kontenregister einzuholen und in Erfahrung zu bringen, ob nun tatsächlich fiktive Namen beziehungsweise fiktive Konten bei der Commerzialbank Mattersburg eingeführt worden seien. Hätte er die Anzeige bekommen, hätte er sofort reagiert, sagte Fiedler: „Und zwar erstens natürlich auch mit einer Verständigung der Nationalbank – völlig richtig. Aber auch mit einer eigenen Handlungsweise, eben mit einer Anfrage beim zentralen Kontenregister.“

Insider packt aus

Die Tageszeitung „Standard“ (Montag-Ausgabe) berichtete von einem Ex-Mitarbeiter der Commerzialbank, der auspackte. Dieser berichtete etwa über Bargeld, das in Schuhschachteln im Tresor gelagert worden sei. Bis auf eine Handvoll Mitarbeiter hätten alle geahnt, dass nicht alles in der Bank mit rechten Dingen zugegangen sei, so der ehemalige Mitarbeiter. Aber jeder habe sich geduckt, bloß nicht auffallen, sei die Devise gewesen. Der Insider wurde laut „Standard“-Bericht nach einem Jahr in der Bank ohne nähere Begründung hinausgeworfen.