Stacheldraht / Eiserner Vorhang
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Chronik

1989: Flucht nach Neckenmarkt

Im Sommer 1989 flüchteten immer wieder DDR-Bürgerinnen und Bürger nach Österreich. Als Fluchthelfer dienten oft Burgenländerinnen und Burgenländer. Auch in Neckenmarkt (Bezirk Oberpullendorf), wo der erste Flüchtling ausgerechnet am ersten Tag der „Weintage“ buchstäblich in das Gemeindefest stolperte.

Das Originalplakat der Neckenmarkter Weintage von 1989 ist nur einer der Schätze des ehemaligen Neckenmarkter Bürgermeisters Hans Iby. Gemeinsam mit den damaligen Mitstreitern lässt er den Sommer vor 30 Jahren aufleben. Begonnen hat alles vor der Weinhalle am 12. August 1989. Nach der feuchtfröhlichen Eröffnung der Weintage geht Hans Iby als Letzter um fünf Uhr in der Früh aus dem Gebäude.

Weinhalle in Neckenmarkt
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Hans Iby, Anton Karall und Ewald Handler vor der Weinhalle in Neckenmarkt

„Wo bin ich?“

„Plötzlich kommt ein junger Bursche in einem Jogginganzug, wirft sich vor uns nieder und fragt: Wo bin ich?“, erzählt Iby. Im ersten Moment glaubt Iby einen Angeheiterten vor sich zu haben, der vom Fest übrig geblieben ist, aber dann stellt sich im Gespräch heraus, dass es sich um Uwe aus der DDR handelt, der über die Grenze nach Neckenmarkt geflüchtet ist.

Hans Iby zeigt den Ort des ehemaligen Stacheldrahts
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Hier kamen die DDR-Flüchtlinge bei Neckenmarkt über die Grenze

Landkarten für die Flüchtlinge

Mit Uwe beginnt der Strom der DDR-Flüchtlinge in Neckenmarkt. Fast täglich kommen sie – einzeln oder in Gruppen. Eilig kopierte Landkarten werden auf dem Campingplatz in Sopron (Ödenburg) verteilt, um ihnen die Orientierung zu erleichtern. Allein Hans Iby fährt in diesen Tagen an die 50 Mal nach Sopron, um den Fluchtwilligen zu helfen.

Nachdem Ungarn im Frühjahr mit dem Abbau des Stacheldrahts begonnen hat, fliehen immer wieder DDR Bürgerinnen und Bürger über die Grenze. Den Höhepunkt findet die Fluchtbewegung beim sogenannten Paneuropäischen Picknick bei St. Margarethen am 19. August 1989.

Weiterfahrt nach Wien

Im Ort werden die Flüchtlinge betreut und mit Lebensmitteln und Kleidung versorgt. Danach werden sie in Bussen nach Wien in die BRD-Botschaft und danach in die Bundesrepublik Deutschland gebracht.

"Es kam so überraschend, es gab oft einen großen Andrang, 30 bis 50 Leute, manchmal 50 in der Früh. Und alle mussten natürlich registriert werden, erzählt Anton Karall, der damals in Neckenmarkt Gendarmeriebeamter war.

DDR Flüchtlinge warten auf den Bus
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DDR-Flüchtlinge in Neckenmarkt warten auf den Bus nach Wien

Hochzeit für Flüchtlingspaar

Ein Eisernes Kreuz und mehrere Gedenktafeln erinnern an die kleinen und großen Dramen, die sich an der Grenze abgespielt haben. Aber es gibt auch immer wieder Grund zur Freude, zum Beispiel bei einer spontanen Hochzeit im Gemeindeamt. Der Bräutigam kam zuerst alleine über die Grenze, erzählt der ehemalige Standesbeamte und Fluchthelfer Ewald Handler. „Er ist dann ein zweites Mal mit seiner Freundin auch geflüchtet. Es war ein Samstag und es war zufällig Hochzeit in Neckenmarkt. Die Burschen waren noch in Uniform und da haben wir gemeinsam beschlossen, wir werden das Flüchtlingspaar auch gleich trauen – und das haben wir auch gemacht“, so Handler.

Flüchtlinge als Hochzeitspaar
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Die Flüchtlinge Uwe und Elke haben in Neckenmarkt geheiratet

Dokumente Teil einer Ausstellung

Das Hochzeitspaar von Neckenmarkt hält nach wie vor Kontakt mit seinen Helfern. So wie viele andere DDR Flüchtlinge auch. Hans Iby bewahrt die Postkarten alle auf, gemeinsam mit Dokumenten und Photos: Erinnerungen, die im Herbst bei einer Ausstellung im Haus der Geschichte in Wien zu sehen sein werden.