A4-Drama: Erster Tag im Schlepperprozess

Seit Mittwoch müssen sich elf Schlepper im ungarischen Kecskemet vor Gericht verantworten. Sie sollen für den Tod jener 71 Flüchtlinge verantwortlich sein, die im August 2015 in einem Lkw bei Parndorf gefunden wurden.

An der Ostautobahn A4 bei Parndorf (Bezirk Neusiedl am See) wurde der luftdichte Kühl-Lkw nach dem Erstickungstod der 71 Flüchtlinge, darunter vier Kinder, im Sommer 2015 entdeckt. Der Prozess wird den elf Schleppern aber in Kecskemet gemacht, und zwar deshalb, weil die 71 Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, bereits auf ungarischem Staatsgebiet erstickt sind.

Kühl-Laster

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In diesem Lkw starben die 71 Menschen

Den elf Beschuldigten wird unter anderem qualifizierter Mord und Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Zehn von ihnen nahmen auf der Anklagebank Platz. Ein Bulgare ist noch auf der Flucht. Alle Beschuldigten sind in Ungarn unbescholten.

Prozess begann mit Verspätung

Der Prozess begann mit etlicher Verspätung. Zunächst fanden nicht alle der 100 angereisten Journalisten in dem heißen Gerichtssaal Platz, wo Sessel für nur rund 80 Zuseher vorgesehen waren. Die Angeklagten kamen in Handschellen und begleitet von teils vermummten Justizwachebeamten vom nahe gelegenen Gefängnis in das Gericht. Sie mussten sich ihren Weg durch die Menge an Fotografen und Kameraleuten bahnen.

Hauptangeklagter akzeptierte Dolmetscherin nicht

Danach beschwerte sich der Hauptangeklagte, der mutmaßliche Bandenboss, über eine Gerichtsdolmetscherin. Der Afghane spreche Paschtun, die Dolmetscherin nicht, echauffierte er sich. Er akzeptiere die Anklageschrift nicht, weil sie falsch übersetzt werde, sagte der Angeklagte, der zuvor streng bewacht mit einem breiten Lachen den Saal betrat.

In seiner Hand hielt er eine Mappe, auf der unter anderem geschrieben stand: „Ich bin ein afghanischer Muslim, weder ein Mörder noch gewalttätig. Ich lüge nicht, Gott ist mein Zeuge“, wie Experten aus dem Paschtun übersetzten. Am ersten Verhandlungstag wurde vom Oberstaatsanwalt des Komitats Bacs-Kiuskun, Gabor Schmidt, die umfangreiche Anklage verlesen.

Lebenslange Strafen beantragt

Vier Angeklagte wurden nicht nur wegen Mitgliedschaft in einer Schlepperorganisation angeklagt, ihnen wird auch qualifizierter Mord vorgeworfen, was in Ungarn eine weitaus höhere Strafe bedeutet. Im Fall der erstickten Flüchtlinge handelte es sich nämlich nicht nur um mehrfachen Mord, unter den Opfern waren auch Kinder, was eine solche Qualifikation rechtfertigt.

Die Staatsanwaltschaft beantragte bei den vier Haupttätern lebenslanges Zuchthaus. Dabei handelt es sich eben um den Bandenboss, einen 30-jähriger Afghanen, seinen 30-jährigen bulgarischen Stellvertreter, den 26-jährigen Fahrer des Kühl-Lkws und einen 39-jährigen Begleiter (beide Bulgaren).

31 nachgewiesene Fahrten

Die Bande soll laut Anklage mehr als 1.200 Menschen illegal nach Westeuropa gebracht haben. Dabei kassierte allein der Bandenchef mehr als 300.000 Euro. Seit Juni 2015 schmuggelte die Gruppe verstärkt Flüchtlinge von Serbien über Ungarn nach Österreich bzw. Deutschland. 31 solcher Fahrten konnte die Staatsanwaltschaft in Ungarn nachweisen.

Kecskemet

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Gerichtsgebäude in Kecskemet

Der Chef der Schlepperbande kassierte nicht nur die Gelder, sondern organisierte gemeinsam mit seinem Stellvertreter und einem 52-jährigen bulgarisch-libanesischen Staatsangehörigen von Februar bis August 2015 die Fahrten. Der 52-Jährige war fünf Jahre lang Autohändler in Kecskemet, ehe er zur Bande stieß. Meist verwendeten sie Lieferwagen, die für den Personentransport völlig ungeeignet waren, „geschlossen, dunkel und luftlos“, so beschrieb es die Staatsanwaltschaft. Die Flüchtlinge seien „unter überfüllten, unmenschlichen und qualvollen Umständen gereist“.

Elizabeth Hausmann-Farkas

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ORF-Burgenland-Redakteurin Elizabeth Hausmann-Farkas berichtet vom Prozess in Kecskemet.

Am Anfang schleppte die Bande 20 bis 40 Migranten pro Auto. Doch aufgrund des hohen Drucks wurden immer öfter Fahrzeuge mit mehr Fassungsvermögen besorgt. Am Ende waren es rund 100 Flüchtlinge, die mit nur einem Transport nach Westeuropa gebracht wurden. Diese Fahrten wurden zur Qual für die Geschleppten. Begleitet wurden die Schleppungen von „Vorläuferwagen“, die die Gegend auskundschafteten.

Tödliche Falle

Eine dieser Schlepperfahrten wurde am 26. August 2015 zur tödlichen Falle. Die Bande kaufte mit Hilfe des 52-Jährigen neue Schlepperfahrzeuge. Der Mann hatte zunächst in Österreich gelebt und war 2008 nach Kecskemet gegangen, um dort als Gebrauchtwagenhändler zu arbeiten. Am 18. August 2015 erwarben sie laut Anklage bei einem Händler nahe Kecskemet einen gebrauchten Kühltransporter sowie zwei Mercedes Sprinter und zahlten einen Preis von insgesamt 6.250.000 Forint (rund 20.350 Euro).

Kecskemet

ORF/Elizabeth Hausmann-Farkas

Gerichtsgebäude

In der Nacht auf den 26. August 2015 wurde der Kühl-Lkw erstmals eingesetzt. In einem Waldstück nahe der Grenze bei Morahalom warteten 71 Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, dem Iran und aus Afghanistan - darunter acht Frauen und vier Kinder -, um in den Westen gebracht zu werden. Der 26-jährige Bulgare fuhr den Lastwagen, begleitet von seinem 39-jährigen Landsmann, der mit eigenem Auto unterwegs war, um die Lage zu sondieren. Die beiden Bandenbosse fungierten als Aufpasser und begleiteten zum Teil den Transport mit ihren eigenen Fahrzeugen. Der Lenker des Lkws erhielt für die Fahrt 3.500 Euro, sein Komplize 1.500 Euro.

14 Quadratmeter für 71 Menschen

Die 71 Menschen wurden auf eine 14,26 Quadratmeter große Ladefläche gepfercht, die eigentlich für Kühlware gedacht war. Es gab keine Lüftung, keine Fenster, keine Innenbeleuchtung, keine Sitzgelegenheit und keine Haltegriffe, hielt die Staatsanwaltschaft fest. Die Tür des Frachtraums konnte nur von außen geöffnet werden.

Bereits nach 40 Minuten machten die Menschen in dem Lkw auf sich aufmerksam, dass sie keine Luft mehr bekommen. Sie hämmerten gegen die Frachtraumwände und schrien lauthals. Die beiden Männer informierten ihre Bandenbosse darüber, doch die beiden gaben die Anweisung, sich nicht um die Insassen zu kümmern, sondern weiterzufahren. Laut Staatsanwaltschaft hatten die beiden sogar verboten, die Frachtraumtür zu öffnen, obwohl der 26-jährige Fahrer mehrmals anrief und bekundete, dass die Insassen großen Lärm machen würden.

Angeklagter gab Anweisung, „Leichen zu entsorgen“

Der Erstangeklagte gab noch die Anweisung, falls die Migranten sterben sollten, sollten ihre Leichen in Deutschland entsorgt werden. Sein Stellvertreter meinte sogar: „Diese können von ihm aus auch sterben“, sagte er laut Anklage. Die meisten erstickten nach eineinhalb, zwei Stunden. Als der Lkw die Grenze zu Österreich passierte, waren alle 71 tot. Der Fahrer stellte den Lkw bei Parndorf ab und flüchtete mit dem Begleitfahrzeug seines Komplizen zurück nach Ungarn. Am nächsten Tag wurde das Fahrzeug mit den Leichen von österreichischen Polizisten entdeckt.

Richter Janos Jadi

APA/GEORG HOCHMUTH

Richter Janos Jadi

Die Verhandlung wurde unter dem Vorsitz von Richter Janos Jadi geführt. Kurz vor 15.00 Uhr ging am Mittwoch der erste Prozesstag zu Ende. Richter Jadi will die Verhandlung Donnerstagfrüh mit der Einvernahme der ersten beiden Angeklagten fortsetzen. Dabei handelt es sich um den mutmaßlichen Bandenboss und seinen Stellvertreter.

Am 23., 29. und 30. Juni sind weitere Prozesstage geplant, danach wird der weitere Prozessplan fixiert. Insgesamt werden knapp 300 Zeugen befragt, 15 Sachverständige geben ihre Expertisen ab. Ein Urteil soll noch in diesem Jahr gefällt werden.

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