Judith Kohlenberger und Patricia Schuller
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Judith Kohlenberger: Was ist Heimat?

Welche Arten der Migration gibt es? Wie sinnvoll ist die Errichtung von Mauern und Zäunen? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger. Patricia Schuller hat die Expertin zum Gespräch über Migration, Flucht und Heimat gebeten.

Judith Kohlenberger wuchs in Wallern (Bezirk Neusiedl am See) auf. Die Migrationsforscherin besucht immer wieder ihre Familie. Die Brücke von Andau ist nur etwa 15 Autominuten von Kohlenbergers Elternhaus entfernt. Zur ungarischen Grenze ist es ein Katzensprung. Diese Umgebung hätte ihre Berufswahl irgendwo mitgeprägt, erzählt sie im Gespräch mit ORF Burgenland-Redakteurin Patricia Schuller.

Judith Kohlenberger  und Patricia Schuller
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Patricia Schuller und Judith Kohlenberger an einem geschichtsträchtigen Ort, der Brücke von Andau

„Ob man es will oder nicht, das prägt sich in einen ein und das nimmt man wahr. Vor allem, da ich in den späten 1990ern und Anfang der 2000 Jahre aufgewachsen bin, als es keine wahrnehmbare Grenze gab. Da war die EU-Osterweiterung, man konnte nach Ungarn spazieren wie in die Nachbarortschaft. Gleichzeitig habe ich in meiner wissenschaftlichen Beschäftigung gemerkt, für andere Menschen sind Grenzen nicht nur viel wahrnehmbarer als für mich sondern auch unpassierbar“, so Kohlenberger.

Migration damals und heute

Judith Kohlenberger setzt sich nicht nur mit aktuellen Fluchtbewegungen auseinander, sondern auch mit historischen. Im Sommer 1956 – zur Zeit des ungarischen Volksaufstandes – sind allein über die Brücke von Andau 70.000 Menschen nach Österreich geflohen. „Damit man das in Relation setzen kann: im Jahr 2015 hat Österreich insgesamt etwa 88.000 Asylanträge entgegen genommen. Da sieht man, wie viel eigentlich ein ganz besonders strukturschwaches Bundesland, wie es das Burgenland damals war, in der Versorgung und Unterbringung von ungarischen Geflüchteten alleine geschultert hat.“

Legale Flucht ermöglichen

Große Fluchtbewegungen zeigen die große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, bedeuten aber auch oft Angst vor Kontrollverlust, vor Chaos, so die Migrationsforscherin. "Deshalb wäre ich für mich die wesentliche Ableitung einerseits irreguläre Migration nach unten zu bringen aber gleichzeitig die reguläre Migration zu fördern und auch die reguläre, legale Flucht zu ermöglichen.

Judith Kohlenberger
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Dann kommen die Menschen gar nicht auf die Idee, auf irreguläre Wege, auch auf Schlepper, auszuweichen. Das ist nämlich die andere Seite: dass viele Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer, über die Balkaroute oder auch in einem Kofferraum eines Lieferwagens leider ihr Leben verlieren, weil Flucht anders nicht möglich ist."

Heimat sind Menschen

Die 1.700-Einwohner-Gemeinde Wallern ist die Heimatgemeinde von Judith Kohlenberger. Die Migrationsforscherin lebt schon lange und gerne in Wien. Patricia Schuller: „Herbert Grönemeyer hat einmal gesagt: Heimat ist kein Ort. Heimat ist Gefühl. Was bedeutet Heimat für Sie?“ Judith Kohlenberger: „In meiner mittlerweile sehr langen Beschäftigung mit Flucht und auch mit geflüchteten Menschen habe ich immer wieder in zahlreichen Gesprächen und in Studien miterlebt, dass Heimat eigentlich die Menschen sind, die eben einen besonderen Ort auf der Welt zur Heimat machen“.

Judith Kohlenberger im Elternhaus in Wallern
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Judith Kohlenberger stammt aus Wallern

„So schaffen wir das“

„So schaffen wir das – Wie wir das Thema Asyl und Migration dem linken und rechten Rand abnehmen und die Krise überwinden“. In dem neu erschienenen Buch bitten die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger und der Europa-Politiker Othmar Karas (ÖVP) 25 Autorinnen und Autoren von Irmgard Griss bis Europas Kommissions-Vizepräsident Margaritis Schinas um deren Expertise.