100 jähriger Brief
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Geschichte

Brief so alt wie das Burgenland

Das Burgenland feiert bekanntlich heuer seinen 100. Geburtstag – und genau vor 100 Jahren – am 15. Jänner 1921 – verfasste die damals rund 30-jährige Fanny Kraus aus Kaisersteinbruch einen Brief an ihre ausgewanderten Verwandten in den USA.

Franz Sattler ist Baumeister, Hobby-Historiker und Ahnenforscher. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der Geschichte seiner Familie. Im Jahr 1992 bekam er von Verwandten in den USA einen Brief, der am 15. Jänner genau 100 Jahre alt ist. „Ich hab das Ganze in den Jahren 92, 93, 94 bearbeitet und seither ist das bei mir in meinen Archiven gelegen und jetzt mit 100 Jahre Burgenland ist mir der Brief eingefallen und ich habe mir gedacht: ’Das gibt es ja nicht, das ist genau 100 Jahre her“.

100 jähriger Brief
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Franz Sattler mit dem 100-jährigen Brief

„Not und Elend haben wir genug“

Den Brief verfasste Fanny Kraus – sie war die Nichte der Urgroßmutter von Franz Sattlers Frau. Franz Sattler las aus dem Brief ein Stück vor: „Lieber Onkel und Tante, am Anfang meines Schreibens grüßen wir die ganze Familie und teilen euch mit, dass wir alle gesund sind. Das gleiche wir von Ihnen hoffen. Sie werden meine Schrift entschuldigen. Ich muss euch ein Erlebnis schreiben, was wir in Europa mitmachen. Not und Elend haben wir genug und von Tag zu Tag wird es schlimmer.“

Fotostrecke mit 4 Bildern

Alte Fotos USA-Auswanderer
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Viele Menschen sind damals in die USA ausgewandert
Alte Fotos USA-Auswanderer
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Sie hofften auf ein besseres Leben
Menschen arbeiten auf dem Feld
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Die Zurückgebliebenen lebten in großer Armut
Menschen arbeiten auf dem Feld
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Viele Güter waren im damaligen Ungarn knapp

„Tagelang oft ohne ein Stück Brot“

Die Hoffnung auf ein besseres Leben trieb in dieser Zeit viele Menschen in die USA. Die Zurückgebliebenen lebten in großer Armut – viele Güter waren im damaligen Ungarn knapp. Der Grenzübertritt nach Österreich kostete jedes Mal 30 Kronen, schrieb Fanny Kraus vor 100 Jahren: „Und wir müssen nach Österreich hinüber, weil wir in Ungarn weder Kleider, Schuhe, Salz, Zucker, Zündhölzer usw. haben und wir brauchen die verschiedenen Gegenstände. Tagelang sind wir oft ohne ein Stück Brot.“

Franz Sattler
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Franz Sattler hat unzählige Unterlagen von damals – alte Fotos, Stammbäume und Briefe

„Schickt der Mutter ein paar Dollar“

Franz Sattler und seine Familie pflegen noch heute engen Kontakt mit den Verwandten in den USA. Es gibt viele Treffen – davon zeugen dutzende Fotoalben. Von Almosen aus Übersee sind sie heute nicht mehr abhängig. Vor 100 Jahren war das anders: „Im Steinbruch ist keine Arbeit seit dem 14er Jahr. Wir möchten arbeiten, aber es gibt keine. Lieber Onkel und Tante, wenn ihr in der Lage seid, schickt der Mutter ein paar Dollar. Wir wären sehr dankbar“, schrieb Kraus im Brief.

In seinem Arbeitszimmer hat Franz Sattler unzählige Unterlagen – alte Fotos, Stammbäume und Briefe. Jener von Fanny Kraus ist eines seiner wertvollsten Stücke.