Polizeiprotokoll des Roma-Attentats
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Chronik

Das Polizeiprotokoll zum Roma-Attentat

Nach der Explosion der tödlichen Rohrbombe in der Romasiedlung Oberwart vor 25 Jahren, ist erst eineinhalb Tage später in Richtung Terroranschlag ermittelt worden. Bis dahin wurden auch eine Fehde unter Roma, ein misslungener Sprengversuch und eben ein Anschlag als Möglichkeiten in Betracht gezogen.

Dem ORF Burgenland liegt exklusiv das Protokoll jenes Beamten vor, der den Einsatz in Oberwart im Februar 1995 zu Beginn geleitet hatte. Zunächst wurde gegen die vier toten Männer ermittelt. So wurde zum Beispiel auch vermutet, dass sie die Tafel mit der Aufschrift „Roma zurück nach Indien“ – als das die Rohrbombe getarnt war – selbst sprengen hatten wollen. Es gab Hausdurchsuchungen in der Roma-Siedlung. Erst eineinhalb Tage später wurde eine SOKO-Oberwart der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus eingesetzt. Das brachte den Behörden viel Kritik ein: Die Opfer seien zu Tätern gemacht worden, lautete der Vorwurf.

Aufschrift „Roma geht nach Indien“
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Dieses Schild war an der Rohrbombe befestigt

Alarmierung der Polizei

Aber was hat sich an diesem 5. Februar nach der Explosion der Bombe wirklich am Tatort abgespielt? Das Protokoll gibt Aufschluss, der Beamte dokumentierte den Einsatz in Oberwart in Form eines Aktenvermerkes:

„08:10 – dem Gefertigten wird Bericht erstattet, daß im Raume Oberwart in der Nähe der dortigen ‚Roma-Siedlung‘ ein vierfacher Mord geschehen ist. Vier Angehörige der Volksgruppe der ‚ROMAs‘ – sind offensichtlich mit einer „PumpGun“ erschossen worden. Den Tatortbereich sichern … Gendarmeriebeamte aus Oberwart und Umgebung ab.“

So beginnt der Aktenvermerk des Beamten, der an diesem Sonntag zunächst Journaldienst in Eisenstadt hatte. Er wurde beauftragt, sofort nach Oberwart zu fahren.

"08:50 Abfahrt Richtung Oberwart

09:50 Eintreffen am Tatort in der Nähe der Roma-Siedlung in Oberwart. … Beim Eintreffen des Gefertigten kann eine ca. 15-köpfige Gruppe von ROMAs in der Nähe der ROMA-Siedlung wahrgenommen werden sowie einige bereits anwesende Journalisten….. jegliche Stellungnahme … von Exekutivorganen an Medienvertreter wird streng untersagt."

„Burgenland heute“, 6. Februar 1995

Der Bericht über das Roma-Attentat in Oberwart und den Anschlag in Stinatz.

Erste Mitteilung an Sicherheitsdirektion

Der Beamte ließ den Tatort abriegeln, um Schaulustige fernzuhalten. Nach einer detaillierten Beschreibung der Lage der Opfer, die strahlenförmig im Halbkreis rund um den zerstörten Gipssockel mit dem explodierten Wasserleitungsrohr lagen, teilte er um 10:30 Uhr Sicherheitsdirektion und Innenministerium mit:

„..daß ein Attentat mittels PumpGun auszuschließen ist und es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um ein Sprengstoffdelikt handelt. Hinsichtlich des Vorliegens oder Nichtvorliegens von Fremdverschulden könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt, mangels entsprechender Tatorterhebungen und – untersuchungen, noch keine Angabe gemacht werden.“

Durchsuchungsbefehle für Romasiedlung

Gegen Mittag trafen Staatsanwaltschaft, Untersuchungsrichter, Gerichtsmediziner, Sprengstoffexperten und Kriminalisten und Vertreter des EBT – der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus in Oberwart – ein.

„12:50 Aufgrund der bisher vorliegenden Erkenntnissen aus den bis dato durchgeführten Erhebungen erteilt Untersuchungsrichter … über Antrag von Journalstaatsanwalt … mündlich vier Hausdurchsuchungsbefehle in den Wohnobjekten der getöteten ROMAs.“

Romasiedlung in Oberwart nach dem Attentat 1995
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Romasiedlung in Oberwart nach dem Attentat 1995

Doch den Ermittlern reichte das nicht. Sie wollten alle 13 „Wohnobjekte“ der Romasiedlung samt dazugehörigen Nebenräumen und Pkws durchsuchen, was der Untersuchungsrichter um 14.00 Uhr ebenfalls genehmigte. Außerdem wurde eine „lückenlose Opferprofilanalyse“ beauftragt. Mittlerweile waren mehr als sieben Stunden seit dem Auffinden der vier ermordeten Roma vergangen. Die unmittelbare Tatortarbeit, also die Sicherung der Beweisstücke war abgeschlossen. Um 15.30 Uhr wurde noch angeregt:

„…eine gerichtsmedizinische Obduktion erst nach lückenloser Durchsuchung der Kleidungsstücke der sich am Tatort befindlichen Leichen vorzunehmen. Staatsanwalt und Untersuchungsrichter erklären sich damit vollinhaltlich einverstanden…“

Medienspekulationen über Terroranschlag

In den Medien wurde trotz Nachrichtensperre bereits über einen Terroranschlag spekuliert. Das Innenministerium dementierte. „Bisher kein Hinweis auf Anschlag“ hieß es in der Schlagzeile der Austria Presse Agentur um 15.42 Uhr.

„16:20 Uhr – Besprechung … über die Durchführung und Organisation der Hausdurchsuchung. … auf folgende Gegenstände soll besonders Bedacht genommen werden: 1,5 Volt Batterien, Elektronik, Selbstlaborate (z.B. Selbstgemische aus Unkrautsalz und Staubzucker); pyrotechnische Gegenstände wie z.B. Piraten, rote Isolierbänder, silbernes Gewebe, 2 Komponentenkleber, Drähte und Elektronik, Hühnergitter, verzinkte Wasserleitungsrohre, kleine Alurohre, Fachliteratur über die Herstellung von Sprengstoff…“

Gleichzeitige Hausdurchsuchungen in der Siedlung

Punkt 16.55 Uhr wurden alle Wohnobjekte der Romasiedlung gleichzeitig durchsucht und zahlreiche Gegenstände sichergestellt. Zur gleichen Zeit lagen die vier ermordeten Bewohner bereits in der Pathologie in Oberwart. Wie es den Angehörigen ging und wie sie auf die Hausdurchsuchungen reagierten, geht aus dem Protokoll des Beamten nicht hervor. Um 18.01 Uhr berichtete die Austria Presse Agentur in der Abendmeldung: „Ermittlungen bisher ohne Ergebnis.“ Nach wie vor offen war die Frage, ob es sich um einen Unfall oder einen Anschlag auf die vier Männer handelte.

22.00 Uhr: Ermittler gehen von Attentat aus

Während Innenminister Löschnak in der Sonntag-Spät-„Zeit im Bild“ dabei blieb, dass es keinen Hinweis auf einen Anschlag gebe, stellte sich den Ermittlern in Oberwart ein anderes Bild dar:

„22:00 Uhr Besprechung … über das bisher vorliegende Erhebungsergebnis. Aufgrund der bisherigen Ermittlungen und Erhebungen sowie der gegenwärtig noch andauernden Gerichtsobduktion und ersten Einschätzungen daraus, neigen Gefertigter, … und die anderen vor Ort eingesetzten Beamten immer mehr dazu, von einem geplanten Sprengstoffattentat auszugehen … Opferprofilanaylsen … bestärken die Annahme, daß hier ein gezielter Sprengstoffanschlag stattgefunden hat. Von keinem der anwesenden Beamten vor Ort wird den vier getöteten ROMAs die Konstruktion einer derartigen Höllenmaschine zugetraut.“

Warnung erst nach Explosion in Stinatz

Die Öffentlichkeit wurde darüber nicht informiert. Es gab keine Großfahndung, keine Straßenkontrollen im Großraum Oberwart und auch keine Warnung an die Bevölkerung. Die erfolgte erst zwölf Stunden später, nachdem am nächsten Vormittag im 15 Kilometer entfernten Stinatz die nächste Bombe explodiert war.

"Montag 6. Februar – 11:50 Uhr

Nach kurzer Diskussion und Besprechung bezüglich der weiteren Vorgangsweise in gegenständlichem Fall regt Gefertigter … an, unverzüglich via ORF die Bgld. Bevölkerung bzw. die hier ansässigen Minderheiten von weiteren Sprengstoffattentaten eingehend zu warnen …"

Anschlag in Stinatz
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Tatort in Stinatz

Das dauerte allerdings noch: Um 12.09 Uhr berichtet die APA von einer „angeblichen weiteren Bombenexplosion“ in Stinatz. Von der Sicherheitsdirektion Burgenland hieß es dazu „kein Kommentar“. Erst um 13.12 Uhr veröffentlichte das Innenministerium nach einer Pressekonferenz folgende Aussendung: „Löschnak: Bombenexplosion in Oberwart war kein Unfall“.

Ermordete wurden nach 37 Stunden offiziell zu Opfern

Exakt 37 Stunden und 25 Minuten waren vergangen, bis aus den ermordeten Männern auch offiziell Opfer eines Terroranschlages wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beamte aus dem Burgenland seine Arbeit in Oberwart bereits beendet. Der letzte Eintrag in seinem Protokoll:

„Bemerkt wird, daß während der gesamten Amtshandlung hinsichtlich des Sprengstoffvorfalls in Oberwart eine ausgezeichnete Zusammenarbeit mit den Kräften der KA Burgenland … insbesondere mit Hauptmann … sowie den Beamten der EBT, der KTZ und des Entschärfungsdienstes einschließlich Journalstaatsanwalt Dr. … und Untersuchungsrichter Dr. … gegeben war.“

Das gesamte Protokoll zum Nachlesen:

Das Protokoll ist vollständig, die Namen der ermittelnden Beamten wurden geschwärzt.