„Kugelschreiber hat mein Leben gerettet“

Die Gasexplosion bei einer Delogierung in Wien hat ein Nickelsdorfer Gerichtsvollzieher leicht verletzt überstanden. Im Exklusiv-Interview mit dem ORF Burgenland erzählt er, warum er einem Kugelschreiber sein Leben verdankt.

burgenland.ORF.at: Herr Pecher, wie geht es Ihnen jetzt ein paar Tage nach dieser Explosion?

Helmut Pecher: Wenn man so was überstanden hat, dann ist man einfach nur froh, dass man lebt und alles andere ist egal. Die körperlichen leichten Blessuren, die sind in einer Woche vergessen. Das Seelische wird halt länger dauern, aber das wird man auch mit professioneller Betreuung in den Griff bekommen.

burgenland.ORF.at: Blessuren haben sie davon getragen, welche Verletzung haben Sie denn?

Pecher: Es war eine Verbrennung ersten Grades. Also ich war im Spital und dort ist festgestellt worden: Verbrennungen ersten Grades - ist ja lächerlich, im Endeffekt nichts. Also die Haare waren total versengt, die linke Gesichtshälfte war halt leicht, ich sag’ einmal, angebrannt.

burgenland.ORF.at: Bei dieser Explosion hat es auch einen Toten gegeben, wie war diese Situation für Sie dort an Ort und Stelle? Sie sind ja als Gerichtsvollzieher mit einer Delogierung beauftragt gewesen und sind dort vor dieser Wohnungstür gestanden?

Pecher: Genau. Also ich kann nur soviel sagen, mir hat das Leben gerettet, dass ich fünf Sekunden, bevor die Explosion war, zwei Schritte ums Eck gegangen bin zu meiner Tasche um einen Kugelschreiber. Das hat mir einfach das Leben gerettet, weil ich bin fünf Sekunden davor noch direkt vor der Türe gestanden, wo eben die zwei anderen Personen auch waren - einer ist mittlerweile verstorben, der Zweite schwer verletzt und darum kann man sich ausmalen, dass das halt sehr viel Glück und Zufall war, dass ich halt noch lebe ganz einfach.

burgenland.ORF.at: Sie haben dann quasi, wenn ich das jetzt so richtig interpretiere, einen Knall gehört und sind neben der Tür gestanden?

Pecher: Nein, nein. Ich bin direkt vor der Türe gestanden und bin ums Eck gegangen zu meiner Tasche um einen Kugelschreiber und wie ich auf die Tasche hingreife und die Tasche aufmache, ist diese Explosion und ja, dann war es einfach halt heiß und nächste Sekunde finster. Ich bin dort minutenlang gestanden vor der Türe und genau dann, als ich um die Ecke gehe - was mich quasi vor der ärgsten Druckwelle geschützt hat -, genau in dem Moment war die Explosion. Die hätte schon zehn Sekunden vorher sein können, oder eine Minute vorher. Und das hat mir einfach im Endeffekt das Leben gerettet, dass ich noch da sitze, weil sonst, weiß ich zu hundert Prozent, wie es ausgegangen wäre.

burgenland.ORF.at: Sind Sie dann gestürzt oder gelegen? Sie haben gesagt, es ist finster gewesen.

Pecher: Durch den Schmutz und den Staub, der durch die Gegend geflogen ist, war es natürlich kurzfristig finster. Ich war vielleicht noch zehn Sekunden im Haus, ich hab in der linken Hand meine Tasche gehabt, die war offen und dann wollte ich nur mehr raus. Es ist ja in einer Sekunde vorbei das Ganze, die Explosion. Man hat über Schutt und teilweise Holzbalken klettern müssen."

burgenland.ORF.at: Haben Sie da irgendetwas registriert oder haben Sie tatsächlich nur gedacht „raus, raus“?

Pecher: Da kommt, glaube ich, der Überlebenstrieb durch. Wenn man die Wucht und das Ganze gespürt hat, denkt man nur: einfach nur raus, irgendwie raus. Da schaut man auf keinen anderen mehr. Nur mehr raus, weil man weiß, das war jetzt ganz was Arges.

burgenland.ORF.at: Haben Sie die anderen auch gesehen - den Hausverwalter oder jemanden in der Wohnung?

Pecher: Nein. Da gibt es nichts anderes mehr, dass man schaut auf wen anderen: Nur mehr raus von dort, weil man natürlich im Hinterkopf hat, vielleicht passiert ja noch was. Weiß man ja nicht, vielleicht kommt noch eine Explosion.

burgenland.ORF.at: Dann waren Sie draußen und wie ist es dann weitergegangen?

Pecher: Da war die Polizei total schnell da und dann habe ich ja nichts mehr zu tun gehabt mit dem Ganzen. Es ist dann innerhalb von Minuten das ganze Aufgebot da gewesen – Polizei, Feuerwehr.

burgenland.ORF.at: Sind Sie dann ins Krankenhaus gekommen?

Pecher: Ja, natürlich in den ersten Minuten hat man viel menschliches Leid gesehen - wie immer wieder, wer rausgebracht wurde. Aber ich bin dann ins Spital gekommen und untersucht worden. Überraschenderweise habe ich bis auf die leichten Verbrennungen nichts.

burgenland.ORF.at: In welcher Situation sind Sie derzeit, sind Sie im Krankenstand und werden Sie psychologisch betreut?

Pecher: Ja, aber ich bin ab morgen wieder im Dienst, bin aber im Innendienst. Da hat jeder einen anderen Zugang – ich hab das beim letzten Mal auch so gemacht. Ich bin kein Mensch, der sich drei Wochen lang zu Hause hinsetzt und in die Luft schaut. Nein, das bin ich nicht. Ich mach halt Innendienst und das ist kein Problem vom Dienstgeber aus. Ich war Freitag und Montag im Krankenstand, und jetzt bin ich dann wieder „im Dienst“, unter Anführungszeichen.

burgenland.ORF.at: Glauben Sie, dass sie das jemals wieder machen können? Sie wirken zwar psychisch sehr stabil, aber das ist ja sehr schwierig.

Pecher: Ich bin guter Dinge, dass ich daran nicht zerbrechen werde beruflich. Also mit psychologischer Betreuung werde ich das schaffen. Es ist ja noch nicht lange her, vor eineinhalb Jahren habe ich dieselbe Situation gehabt – und da hab ich das genauso geschafft und daher werde ich es jetzt wieder schaffen.

burgenland.ORF.at: Das war damals eine ähnlich dramatische Situation bei einer Delogierung?

Pecher: Ja genau. Da hat die Mutter ihr viereinhalb Jahre altes Kind bei der Delogierung erstochen. Und es ist verstorben, das Kind.

burgenland.ORF.at: Sie haben das gesehen?

Pecher: Das führt jetzt fast ein wenig zu weit. Diese alte Sache, war alles in den Medien damals. Ich habe damals für eine Viertelstunde die Wohnung verlassen und habe zur Mutter gesagt, sie soll in aller Ruhe – das war mein Entgegenkommen an sie – sie soll in aller Ruhe die Kinder anziehen, die Dokumente zusammenpacken, und und und... Ich habe eine Viertelstunde die Wohnung verlassen und wie ich zurückgekommen bin, ist schon die Polizei gekommen, weil ein Sohn von ihr war inzwischen auch weggelaufen – der hat das gesehen, ist dann davongelaufen zur Nachbarin, und und und...

burgenland.ORF.at: Das war auch in Wien?

Pecher: Ja, das war auch in Wien – in meinem Vollzugsgebiet.

burgenland.ORF.at: Denken Sie sich da nicht manchmal „ich würde den Job doch gerne aufgeben“ oder ist das keine Möglichkeit?

Pecher: Möglichkeiten gibt es immer im Leben, aber ich hab nach dem ersten Mal gesagt, das passiert dir nur ein Mal im Leben so etwas, so was Dramatisches. Es ist ein zweites Mal passiert. Und momentan bin ich soweit, dass ich mir denke, wenn es einmal passiert ist und ein zweites Mal - das ist halt mein pragmatischer Zugang - ein drittes Mal, das gibt es nicht! Wenn man die Relation hernimmt, wie oft etwas passiert und wie viele Vollzieher es gibt in Österreich, dann denke ich mir, ich habe meinen Anteil geleistet. Ich glaub, ich habe jetzt genug hinter mich gebracht und hoffe, dass ich, wenn ich den Beruf weiter führe, die nächsten zwanzig, fünfundzwanzig Jahre bis zur Pension dann eine Ruhe habe. Bei den normalen Sachen - Streitereien, Handgreiflichkeiten etc. - kannst du eh nix machen.

Das Gespräch mit Helmut Pecher führte ORF-Burgenland-Redakteurin Patricia Spieß. Herr Pecher wies ausdrücklich darauf hin, dass sein Name genannt werden kann. Er will aber nicht zu sehen und zu hören sein.

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