Die Brücke von Andau heute
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„Geschichte im Gespräch“

Vom Ende des Eisernen Vorhangs bis zum EU-Beitritt

Im Jubiläumsjahr „100 Jahre Burgenland“ beschäftigt sich Michael Schreiber von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft mit wichtigen historischen Ereignissen, zusammen in der Serie „Geschichte im Gespräch“. Diesmal legt der 33-jährige Historiker den Fokus auf die 1990er-Jahre, ein Jahrzehnt, in dem das Burgenland im Zentrum von Ereignissen weltpolitischer Dimension steht.

Seit Mitte der 1980er Jahre befindet sich die Sowjetunion in einer Krise und in einer politischen Umbruchphase. Die Reformen, des seit 1985 amtierenden Generalsekretärs der KPdSU, Michail Gorbatschow, lassen den Staaten des Warschauer Pakts wesentlich mehr Freiheiten, was dazu führt, dass es im Ostblock Ende der 1980er zu mehreren, meist friedlichen Revolutionen kommt. Damit verbunden ist auch eine schrittweise Öffnung des Eisernen Vorhangs – auch entlang der burgenländischen Ostgrenze.

Sendungshinweis

„Radio Burgenland Extra“, 30.12.2021, 20.04 Uhr

Für Ungarn ist die Grenze zu dieser Zeit schlicht nicht mehr leistbar. Beispielsweise muss der Stacheldraht, der nach 1956 entlang der Grenze verlegt worden ist, erneuert werden. Allerdings hat die Sowjetunion die Produktion dieses Drahtes schon in den 1970er Jahren eingestellt, wodurch Ungarn diesen aus dem Westen importieren muss, was sehr teuer ist. Auf einer Pressekonferenz am 2. Mai 1989 wird schließlich verkündet, dass Ungarn diese „technische“ Grenze beseitigen wird. Allerdings will man in Ungarn durch verstärkte Bewachung der Grenze die Bildung einer grünen Grenze verhindern oder die Sicherung ihrer Westgrenze günstiger und technisch anders lösen.

Alois Mock und Gyula Horn schneiden im Juni 1989 den Eisernen Vorhang bei Sopron durch
HOPI MEDIA/Bernhard J. Holzner

Die Gunst der Stunde nutzen damals der österreichische Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn. Sie reisen am 27. Juni 1989 nach Klingenbach, um dort jenes ikonische Foto zu inszenieren, das sie beim Durchtrennen des Eisernen Vorhangs zeigt. Die Fotografie geht um die Welt und weckt vor allem bei vielen Bürgern und Bürgerinnen der DDR die Hoffnung, dass der Eiserne Vorhang in Ungarn nun auch für sie durchlässig geworden ist. In diesem Sommer durchstoßen viele Ostdeutsche die Grenze und kommen ins Burgenland.

Historiker Michael Schreiber von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft
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Historiker Michael Schreiber von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft

Paneuropäisches Picknick

Am 20. Juni 1989 besprechen Otto Habsburg und Ferenc Mészáros in Debrecen die Idee, an der österreichisch-ungarischen Grenze ein symbolisches Picknick zu veranstalten. Wenige Tage später nimmt auch Mária Filep diese Idee auf und so wird kurzerhand das „Paneuropäische Picknick“ für den 19. August an der Grenze zwischen St. Margarethen und Sopronköhida organisiert. Während dieses Picknicks sollte für wenige Stunden die Grenze zwischen Österreich und Ungarn symbolisch geöffnet werden. Vor allem unter jenen DDR-Bürgern, die sich zu dieser Zeit in Ungarn aufhalten, wird viel Werbung für diese Veranstaltung gemacht. An diesem Tag überschreiten schließlich mehr als 650 von ihnen bei St. Margarethen die Grenze zu Österreich.

Tatsächlich ist diese Aktion auch ein Test, wie die Sowjetunion auf diese Grenzöffnung reagiere. Da eine Reaktion vonseiten der Sowjets ausbleibt, geht die ungarische Regierung Mitte September einen Schritt weiter und ermöglicht DDR-Bürgerinnen und -Bürgern nun offiziell die Grenze zu passieren. Nun ist der Ostblock vollends dabei zusammenzubrechen. Als heute deutlichstes Symbol für den Zusammenbruch des Ostblocks gilt der Fall der 1961 erbauten Berliner Mauer in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989. Retrospektiv wird das Paneuropäischen Picknick immer wieder als Initiationszündung für den Fall der Berliner Mauer gedeutet. Auch wenn das Picknick sicherlich ein symbolisch wichtiges Signal gewesen ist, scheint diese Zuschreibung aber ein wenig übertrieben.

Grenze St. Margarethen-Sopronköhida
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Assistenzeinsatz des Bundesheeres

Durch den Zerfall des Ostblocks und die dadurch einsetzende Migration aus dem Osten Anfang der 1990er Jahre ist die burgenländische Ostgrenze wieder einmal im Zentrum von Ereignissen weltpolitischer Dimension. Diesem signifikanten Anstieg der Grenzübertritte im Frühjahr 1990 ist das österreichische Grenzregime, bestehend aus Gendarmerie und Zollwache, trotz täglicher Schwerpunktaktionen nicht gewachsen. Das Ministerium will zur Unterbringung der meist rumänischen Flüchtlinge zunächst ein leerstehendes Kasernengebäude in Kaisersteinbruch nutzen, muss diesen Plan aufgrund des großen Widerstands der Ortsbevölkerung allerdings wieder fallen lassen. Der damalige burgenländische Landeshauptmann Johann Sipötz schlägt daraufhin den Einsatz des Bundesheeres entlang der burgenländischen Grenze vor. Der Assistenzeinsatz des Bundesheeres wird am 4. September 1990 eingerichtet und beginnt schon einen Tag später.

Zunächst ist er begrenzt auf den ungarischen Grenzabschnitt zwischen Lockenhaus und Deutsch Jahrndorf, wird aber 1991 auf die gesamte burgenländische Ostgrenze ausgeweitet. Zu dieser Zeit steigt auch die Zahl der täglichen Aufgriffe entlang der Grenze auf 70 bis 80. Die Aufgabe der Soldaten ist es, die grüne Grenze, also die Grenzabschnitte zwischen den offiziellen Grenzübertrittsstellen, die von der Gendarmerie und der Zollwache besetzt werden, zu bewachen. Der ursprünglich auf zehn Wochen begrenzte Einsatz des Bundesheeres wird immer wieder verlängert. Nach dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens 2007 verlagert sich der Assistenzeinsatz von der Grenze ins Landesinnere. Erst im Dezember 2011 endet der Assistenzeinsatz, der 1990 begonnen hatte.

Pomoćna granična služba austrijanske vojske 1990. ljeta
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Jugoslawienkrieg und die Auswirkungen aufs Burgenland

Nicht nur die Auflösung des Ostblocks beschäftigt Anfang der 1990er Jahre das Bundesheer an der burgenländischen Grenze. 1991 beginnt auch Jugoslawien auseinanderzubrechen. Als am 25. Juni 1991 Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit erklären, kommt es zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Von diesem Krieg ist das Burgenland in zweierlei Hinsicht betroffen. Erstens kommt es aufgrund der gemeinsamen Grenze zum nunmehrigen Slowenien, im äußersten Süden des Burgenlandes, am 28. Juni 1991 in unmittelbarer Nähe zu Bonisdorf zu Kampfhandlungen. Das Bundesheer bringt sich entlang der Grenze in Stellung, um ein Übergreifen des Krieges auf österreichischen Boden zu verhindern.

Žene i dica iz Hrvatske kot bigunci u Klimpuhu u septembru 1991. ljeta
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Nach dem Ende der Auseinandersetzungen an der Grenze endet dieser Einsatz des Bundesheeres am 31. Juli 1991. Zweitens kommen auch viele Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten nach Österreich und damit auch ins Burgenland. Aufgrund sehr unterschiedlicher Angaben und Schätzungen sind genaue Zahlen der Flüchtlinge, die im Zuge des Krieges auf dem Balkan in den 90er Jahren ihre Heimat verlassen mussten, nicht verfügbar. Laut UNHCR wird die Zahl der kroatischen Flüchtlinge in Österreich zwischen 1991 und 1992 auf etwa 13.000 geschätzt, wobei der Großteil von ihnen wieder nach Kroatien zurückkehrt. Die etwa 1.000 Flüchtlinge, die 1991 ins Burgenland kommen, stammen vor allem aus Kroatien und werden im Unterschied zu den rumänischen Flüchtlingen weitestgehend freundlich aufgenommen.

In Schachendorf sind beispielsweise 250 Flüchtlinge untergebracht. Es gibt auch viele Hilfsinitiativen, sowohl von Institutionen als auch von Einzelpersonen, die Hilfsgüter in die Krisengebiete bringen oder sich um die Unterbringung von Flüchtlingen kümmern. Vor allem in den kroatischen Ortschaften des Burgenlandes finden diese relativ leicht Anschluss und eine Unterkunft, manche von ihnen auch eine dauerhafte Heimat.

Politik der frühen 1990er Jahre

Das Jahr 1991 ist politisch vor allem für die SPÖ turbulent. Neben der Umbenennung von „Sozialistische Partei Österreichs“ in „Sozialdemokratische Partei Österreichs“ auf dem Parteitag in Linz wird der ehemalige Bundeskanzler Franz Sinowatz wegen falscher Zeugenaussage verurteilt. Dabei geht es um Aussagen von Sinowatz, die dieser im Zuge des Waldheim-Wahlkampfes getätigt und später vor Gericht bestritten hat. Aufgrund einer Mitschrift von Ottilie Matysek kann Sinowatz allerdings eine falsche Zeugenaussage nachgewiesen werden. Auch der damalige Landeshauptmann Sipötz, der Sinowatz den Rücken zu stärken versucht hat, sieht sich daraufhin mit Rücktrittsforderungen konfrontiert.

Da die Umfragewerte für die SPÖ zu diesem Zeitpunkt noch ganz gut sind, werden die Landtagswahlen im Burgenland um ein Jahr vorgezogen. Zwar kann die Sozialdemokratische Partei die Wahlen gewinnen, allerdings muss Hans Sipötz auf das Amt des Landeshauptmanns verzichten. Neuer Landeshauptmann in einer SPÖ-ÖVP-Koalition wird Karl Stix. In dieser Zeit versucht sich das Burgenland touristisch immer stärker auf Sport- und Wellnessangebote und damit auf ein finanzkräftigeres Publikum zu fokussieren. Beispielsweise wird 1994 die Therme in Lutzmannsburg eröffnet, die genau diese Form des Tourismus bietet. Das Land beteiligt sich mit 50 Prozent an dem Projekt, der Rest kommt aus den Gemeinden Lutzmannsburg und Frankenau.

Terma u Lučmanu
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Bau der Therme in Lutzmannsburg

Volksgruppenbeirat

Aus Sicht der Burgenlandkroaten ist die Konstituierung des Volksgruppenbeirates 1993 sicherlich eine der prägendsten Ereignisse, die bis heute nachwirken. Die Installation dieses Volksgruppenbeirates ist schon im Volksgruppengesetz 1976 festgeschrieben. Allerdings dauert es aufgrund von zumeist parteipolitisch motivierten Streitigkeiten 17 Jahre, bis er im Beisein des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky besetzt wird. Neben beratender Tätigkeit für die Bundesregierung liegt die Hauptaufgabe des Volksgruppenbeirates in der Verteilung von staatlichen Subventionen innerhalb der Volksgruppe. Unter den sechs Volksgruppenbeiräten der in Österreich anerkannten autochthonen Volksgruppen, ist der kroatische mit 24 Mitgliedern der mit Abstand größte. Der ungarische Volksgruppenbeirat hat 16 Mitglieder, jener der Roma acht.

Konstituiranje Savjeta za hrvatsku narodnu grupu 1993.
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Das schwerste Attentat der 2. Republik

Anfang der 1990er Jahre wird Österreich von mehreren rassistisch motivierten Attentaten erschüttert. Diese richten sich gegen Persönlichkeiten, die sich in Volksgruppenfragen engagiert haben und gegen Mitglieder der Volksgruppe selbst. Anfang Dezember 1993 explodieren die ersten Briefbomben, wobei auch der damalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk durch eine Briefbombe zwei Finger der linken Hand verliert. Auch die Stinatzerin Terezija Stoisits, die zu dieser Zeit für die Grünen im österreichischen Nationalrat sitzt und sich in Volksgruppenangelegenheiten engagiert, bekommt eine Briefbombe zugeschickt.

Helmut Zilk, 100 ljet Gradišće 47. dio
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Der damalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk

Diese wird jedoch rechtzeitig erkannt und ist nicht detoniert. Die Bombenanschläge ziehen sich über drei Jahre bis Ende 1996, wobei sich das schwerste Attentat in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1995 in Oberwart ereignet. Bei diesem Attentat, das gegen die Volksgruppe der Roma gerichtet ist, werden die Brüder Karl und Erwin Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon getötet, als sie ein Schild mit der Aufschrift „Roma zurück nach Indien“ entfernen wollen und damit den Zünder der Rohrbombe auslösen. Zwei Tage später kommt es zu einem weiteren Rohrbombenattentat in Stinatz, bei dem der 28-jährige Erich Preissler an der Hand verletzt wird.

Ortstafel Oberwart nach Attentat
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Über Bekennerschreiben wird deutlich, dass nicht eine spezielle Volksgruppe Ziel der Anschläge ist, sondern die sprachliche, kulturelle und ethnische Vielfalt Österreichs untergraben werden soll. Bei einer Rasterfahndung im Oktober 1997 geht den Behörden – eher zufällig – der Attentäter ins Netz. Es handelt sich dabei um Franz Fuchs, der bei seiner Festnahme eine weitere Bombe detonieren lässt und sich dabei beide Unterarme wegsprengt. Er wird 1999 zu lebenslanger Haft verurteilt und begeht ein Jahr später im Gefängnis Selbstmord.

Österreichs Beitritt zur Europäischen Union

Die frühen 1990er Jahre stehen in Österreich nicht nur im Zeichen der Anschläge von Franz Fuchs. Die außenpolitische Agenda Österreichs beschäftigt sich, neben den Umstrukturierungsprozessen im ehemaligen Ostblock, vor allem mit einem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union. Dieser Integrationsprozess hat im Grunde schon 1960 begonnen als Österreich das Europäische Freihandelsabkommen EFTA mitgegründet, 1973 ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft abgeschlossen und am 17. Juli 1989 durch den damalige österreichischen Außenminister Alois Mock ein Beitrittsgesuch an die Europäische Gemeinschaft, dem Vorläufer der heutigen EU, gerichtet hat.

Brigitte Ederer, Alois Mock i Wolfgang Schüssel
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Brigitte Ederer, Alois Mock und Wolfgang Schüssel

Die EU-Kommission befürwortet am 31. Juli 1991 die Aufnahme Österreichs in die Europäische Gemeinschaft, weshalb 1993 die formalen Beitrittsverhandlungen der Europäischen Gemeinschaft mit Österreich beginnen können. Diese werden am 12. April 1994 abgeschlossen. Im Mai stimmt der Nationalrat dem Beitritt mit großer Mehrheit zu und am 12. Juni 1994 entscheiden sich zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung bei einer Volksabstimmung für einen Beitritt Österreichs zur Europäischen Union. Damit tritt Österreich am 1. Jänner 1995 offiziell der Europäischen Union bei.