Erstes Gewaltopfer im Exklusiv-Gespräch

Der Verdächtige im Fall rund um die Leiche im Neusiedler See hat ein massiv einschlägig getrübtes Vorleben. Eines seiner ersten Opfer empfindet trotz Missbrauchs kaum Hass und viel Mitgefühl für den mutmaßlichen Täter.

Nachdem seine Eltern eine Druckerei in Wien hatten, wuchs Alfred U. bei seiner Großmutter im Burgenland auf. Die Leute im Ort kennen ihn. Seine Verurteilungen haben manche mehr, manche weniger verfolgt.

In der Zeitung erkannt

Immerhin saß er insgesamt rund dreißig Jahre im Gefängnis, lange Zeit davon im Maßnahmenvollzug, also in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Als die ersten Bilder von ihm in den Zeitungen auftauchten und auch die Abkürzung des Namens bekannt wurde, war es für die meisten Menschen aus seiner Heimatgemeinde klar, dass er der mutmaßliche Mörder ist, der die Leiche zerstückelt und im Neusiedler See versenkt hat.

Seehütte des Verdächtigen

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Das Seehaus des Verdächtigen in der Ruster Bucht

Große Fleischwunde machte ihm nichts aus

Ein Mann erzählte, dass er den jetzt mutmaßlichen Mörder schon seit seiner Jugend kennt: „Ein bisschen ein komischer Typ war er halt, er war als Kleiner schon so ein Draufgänger.“ Einmal soll der damals Jugendliche eine Glasflasche an einem Stein zerbrochen haben, doch die große Fleischwunde, die er sich dabei zuzog, schien ihn nicht zu stören: „Er hat sich das abgeschleckt und geht schon wieder. Er hat immer aus der Gruppe herausragen wollen.“ Der aktuelle Fall schockiert die Bevölkerung sehr: „Die Härte muss man einmal haben, jemanden in Stücke zu schneiden.“

In Stresssituationen falsch reagiert

Ein anderer Mann erzählte, dass er sehr schockiert sei, denn er hätte ihm nach dem Gefängnis ins Leben helfen wollen: „Ich bin sehr traurig, dass er so reagiert hat. Als Kind war er wie alle anderen, aber er war immer sehr schnell zornig.“ Sein Bekannter habe mit Stresssituationen nicht umgehen können und in Panik schlecht reagiert. „Der Mensch hätte nie aus dem Gefängnis rauskommen dürfen“, stellte er betroffen fest.

See Leiche Beschuldigter in Beitrag zu Häfnzeitung

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Mehr als 20 Jahre war der Verdächtige in der Justizanstalt Wien-Mittersteig untergebracht

Tickende Zeitbombe - kein Verständnis für Entlassung

Dass Alfred U. nach dreißig Jahren Haft - lange Zeit davon in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher - entlassen wurde, stößt bei vielen Menschen, gerade in seiner Heimatgemeinde im Burgenland, auf großes Unverständnis. „Einmal, als er vom Gefängnis draußen war, habe ich mit ihm geredet. Da hat er gesagt, er wäre froh, wenn er wieder reinkommt, weil er sei eine tickende Zeitbombe“, erzählte ein Bekannter des Verdächtigen.

Kein Fehler - System hat nicht versagt

Die zuständigen Stellen rechtfertigen sich gegen die Beschuldigungen, Alfred U. fälschlicherweise freigelassen zu haben. Er habe alle Auflagen und Maßnahmen eingehalten. „Das haben wir alles überprüft, regelmäßig überprüft und diese Weisungen hat er sehr, sehr stabil auch umgesetzt, eigentlich bis zuletzt“, so Andreas Zembaty vom Verein „Neustart“ im Interview mit Thema-Redakteurin Andrea Poschmaier. Der Verein „Neustart“ ist für die Bewährungshilfe zuständig. Dass ein hohes Kriminalitätsrisiko oder gar eine Straftat bevorstehe, sei nicht angezeigt gewesen. Gerade in diesem Fall seien aus seiner Sicht keine Fehler passiert. Zwei positive Gutachten und eine Stellungnahme der Justizanstalt würden die Freilassung legitimieren. Das System habe nicht versagt, aber eine hundertprozentige Sicherheit gebe es nie.

Astrid Wagner

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Die Anwältin des Verdächtigen, Astrid Wagner

Opfer soll mit fünf Jahren missbraucht worden sein

Die Anwältin des Verdächtigen, Astrid Wagner, betonte im Gespräch mit Thema-Redakteur Martin Steiner, dass ihr Mandant im Gefängnis „kaputt gemacht wurde“. Die „unangenehme Begegnung“ unserer Interviewpartnerin mit Alfred U. liegt aber schon viel länger zurück. 1971, sie war damals ein fünfjähriges Kind, er ein Teenager: „Er hat mich auf sein Moped gelockt, ich war damals wahrscheinlich empfänglich für solche Dinge. Nach dieser Abenteuerfahrt hat er mich genötigt, gezwungen, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen.“

mutmaßliches Missbrauchsopfer des Verdächtigen

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Die Frau will aus privaten Gründen unerkannt bleiben

Aus „unbekannten Gründen“ eingestellt.

Der Fall wurde angezeigt. „Irgendwann ist dann ein Brief gekommen, dass das Verfahren eingestellt wurde, die Gründe seien nicht bekannt. Ich kann nur mutmaßen, ob mir als Kind nicht geglaubt wurde, oder ob es politische Interventionen gegeben hat.“

Kindern Glauben schenken

Sie selbst habe für sich das Thema in einer Psychotherapie aufgearbeitet, auch wenn sie es bis heute nicht gänzlich verarbeitet habe. In ihrem Beruf hat sie auch mit misshandelten Kindern gearbeitet, umso mehr liegt ihr das Thema am Herzen: „Mir ist damals nicht geglaubt worden. 1988/1989 habe ich dann bewusst mitbekommen, dass es in Österreich das erste Mal an die Öffentlichkeit kommt. Mir ist es so vorgekommen, dass sich im Anschluss in Österreich einiges bewegt hat.“

mutmaßliches Missbrauchsopfer des Verdächtigen

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ORF-Burgenland-Redakteurin Lena Pavitsich spricht mit dem ersten Opfer von Alfred U.

Opfer fühlt Leere und Mitgefühl

Wenn sie jetzt über die aktuellen Vorfälle liest, fühlt sie nichts: „Ich habe dazu kein Gefühl, ich habe eine Art von Leere und wenn noch etwas, dann Mitgefühl. Er ist ein kranker Mensch und ich finde es wahnsinnig wichtig, dass Kindern und Frauen geholfen wird. Weiters will ich betonen, dass es viel zu wenig Unterstützung für die Täter gibt. Unterstützung in dem Sinn, dass ihnen auch geholfen wird. Nur sie wegzusperren ist für mich keine Option. Aber natürlich ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit geschützt wird. Ich möchte auch nicht, dass so jemand frei herum läuft, der derartige Dinge tut.“ Reformen im Maßnahmenvollzug seien für sie unerlässlich.

Hass spüre sie für Alfred U. keinen, zumindest nicht bewusst: „Leere und Mitgefühl - der war nicht bei sich, er war nicht er selbst.“

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